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Das Bernsteinerbe

Das Bernsteinerbe

Titel: Das Bernsteinerbe
Autoren: Heidi Rehn
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wie sehr dich diese Vorstellung interessieren wird«, gab Christoph zurück. »Mich stört daran allerdings, wie berechenbar das menschliche Herz ist. Schließlich beraubt uns das liebgewordener Vorstellungen.«
    Abermals führte er ihre Hand zu einem flüchtigen Kuss an die Lippen. Scheu wandte sie den Blick beiseite. Viel zu schnell näherten sie sich der Langgasse. Immer mehr Menschen waren auf den Straßen unterwegs. Das unverhoffte Sommerwetter an den letzten Septembertagen verlieh den Königsbergern eine besondere Anmut. Nirgendwo sonst spazierte man mit einer ähnlichen Selbstverständlichkeit derart wohlgemut in den besten Roben über die Straßen.
    »Sieh an, der studierte Medicus aus der Altstadt und die kleine Wundärztin aus dem Kneiphof!« Die riesige Hand des jungen Apothekers Caspar Pantzer aus dem Löbenicht landete auf Christophs Schultern. »Oh, verzeiht, ich wollte euch nicht stören. Schon sehe ich euch an den Nasenspitzen an, wie eifrig ihr die besten Rezepte gegen Gallenleiden austauscht. Vergesst auch die anderen Organe nicht. Insbesondere das Herz sollte eurer sorgfältigen Betrachtung würdig sein.« Er zwinkerte Carlotta frech zu, versetzte Christoph nochmals einen kräftigen Hieb auf den Rücken und schlenderte in die Goldene Gasse davon. Seine leicht gekrümmte Gestalt mit dem spitzen Hut und dem wallenden Umhang verschwand rasch im Gegenlicht.
    »Du darfst nicht denken, ich wollte dich …«, setzte Christoph verlegen an. Die Röte seiner sonst so hellen Wangen rührte sie. Er wirkte wie ein törichter Knabe, den man auf frischer Tat ertappt hatte, und nicht wie der studierte Physicus, der ihr viel beizubringen wusste.
    »Schon gut.« Beschwichtigend legte sie ihm die Hand auf den Arm. »Allmählich begegnen uns zu viele bekannte Gesichter, findest du nicht? Da wird es immer schwieriger, ungestört zu reden. Lass uns die Unterhaltung bei anderer Gelegenheit fortsetzen.«
    »Wie du meinst«, stimmte er zu ihrer Enttäuschung hastig zu, holte dann aber noch einmal tief Luft, fasste sie an den Händen und fügte augenzwinkernd hinzu: »Dazu sollten wir uns allerdings einen besser geeigneten Ort suchen. Schließlich brauchen wir Ruhe, um unser Wissen über die Heilkunst auszutauschen.«
    »Solange du mir nicht doch die Gauklerwagen vor der Stadt vorschlägst, bin ich gern damit einverstanden.«
    2
    W ie leicht Männer zu lenken waren! Zufrieden über ihren kleinen Sieg, lächelte Lina, stemmte die Arme in die rundlichen Hüften und pustete sich eine Strähne des strohblonden Haars aus dem Gesicht. Wie zufällig schob sie das Becken noch ein wenig weiter heraus. Die schwungvolle Bewegung brachte den weiten Rock aus dunkelroter Wolle zum Schwingen. Übermütig streckte sie die Fußspitzen darunter hervor und gewährte so einen Blick auf die schmalen Fesseln.
    Auch auf diese beiläufige Geste reagierte der Wirt des Grünen Baums mit einem genüsslichen Grunzen. Lina spitzte den Mund und warf das offene Haar nach hinten. Es war kaum zu glauben: Vier Jahre waren seit ihrem kopflosen Durchbrennen mit Fritz vergangen, trotzdem ließ sich der rotgesichtige Wirt mit einer Leichtigkeit von ihr umgarnen, als wäre sie nie fort gewesen. Schmachtete sie ihn aus ihren weit aufgerissenen grünblauen Augen an und presste den Busen ein wenig fester gegen seinen feisten Wanst, geriet er gar an den Rand der Beherrschung. Erregt keuchte er, leckte sich die Lippen und begann, am ganzen Leib zu zittern. Bald zeichneten sich dunkle Flecken auf seinem Hemd ab. Deutlich roch sie den stechenden Schweiß. Auch das war genau wie damals, wenn er nachts in ihre Kammer geschlichen war. Langsam fuhr sie mit den Fingern am Ausschnitt ihres Mieders entlang und sonnte sich in der Gier, die in seinen Augen flackerte. Schließlich lenkte sie ihn geschickt zur Ofenbank im hinteren Teil der leeren Gaststube.
    Im Stillen pries sie sich glücklich, dass nicht nur der Wirt, sondern auch der Tagesablauf des angesehenen Kneiphofer Gasthauses in der Langgasse über all die Jahre unverändert geblieben war. Wie zu den Zeiten, als sie noch als brave Magd die Tische in der Gaststube poliert und die grapschenden Finger des Wirts unter ihrem Rock erduldet hatte, verschwanden die Kneiphofer Kaufleute gleich nach dem zweiten Frühstück um zehn zur nahe gelegenen Börse an der Grünen Brücke. Die gestrenge Wirtin nutzte die knappe Stunde bis zum Auftauchen der ersten Mittagsgäste, um auf dem Markt frisches Gemüse zu erstehen oder gar bis
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