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Das Bernsteinerbe

Das Bernsteinerbe

Titel: Das Bernsteinerbe
Autoren: Heidi Rehn
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zu lang entbehrt zu haben. Schließlich bin ich zwei Jahre auf Reisen gewesen. Du ahnst nicht, wie schmerzlich ich dich währenddessen vermisst habe.«
    »Wenn du nur wüsstest, wie sehr ich dich beneide.« Sie wurde ernst. »Am liebsten würde ich gleich heute noch mein Kleid gegen Hosen eintauschen und ebenso wie du die Universitäten in aller Herren Länder besuchen. Wie herrlich muss es sein, den Vorträgen der Gelehrten zu lauschen.«
    »Das mit den Hosen möchte ich mir gar nicht vorstellen.« Christoph schnitt eine Grimasse. »Schließlich gefällst du mir als weibliches Wesen weitaus besser denn als übereifriger Student.« Leicht neigte er den Kopf, um ihr tief in die blauen Augen zu schauen. »Ich hoffe, es gelingt mir, dich rasch von dieser unsinnigen Idee abzubringen, Hosen anzuziehen und wie ein Mann studieren zu wollen. Im Übrigen ist das wohl nicht die einzige übermütige Idee, die du in den letzten Wochen gehabt hast. Höchste Zeit, alles daranzusetzen, den Unfug schnellstens aus deinem hübschen Kopf zu vertreiben.«
    »Was willst du damit sagen?« Carlotta wusste selbst nicht, warum sie hinter der Anspielung einen Tadel befürchtete. Tatsächlich war die Finte mit den leeren Särgen geglückt. Friedrich Wilhelms Truppen hatten vor den Toren des Kneiphofs abgedreht, kaum dass sie den vermeintlichen Trauerzug erspäht hatten. Mehr als zwei Wochen waren seither vergangen, und noch immer waren sie nicht wieder aufgetaucht. Beunruhigend war allerdings, dass der aus der Altstadt stammende Christoph wusste, wer auf diese List verfallen war. Jemand musste das Geheimnis aus dem Kneiphof hinausgetragen haben.
    »Keine Sorge«, Christoph beugte sich vor, um einen Kuss auf ihre Hand zu hauchen. »Als Sohn des kurfürstlichen Leibarztes werde ich den Teufel tun und mit gespitzten Ohren durch den aufrührerischen Kneiphof laufen. Meine Angst, dort mit der üblen Pest in Berührung zu kommen oder gar gegen unheimliche leere Särge zu stoßen, ist viel zu groß.« Ein weiteres Mal zwinkerte er. »Schließlich wäre es töricht von mir, mich um solche Dinge zu scheren, wo sich mir gerade eine viel aufregendere Möglichkeit bietet, den Nachmittag zu verbringen. Lass uns ein wenig miteinander durch die Straßen spazieren.«
    Seine grauen Augen hatten plötzlich einen Glanz, der Carlottas Herz zum Rasen brachte. Verschämt äugte sie zur Uhr am Kirchturm. Kurz vor zwei.
    »Du weißt, dass das nicht geht.« Bedauernd runzelte sie die Stirn. »Bislang sind zwar erst wenige Leute unterwegs, doch das ändert sich bald. Das schöne Wetter wird die Königsberger nach draußen locken. Und du weißt, wie sie sich die Mäuler wetzen, wenn sie dann ausgerechnet uns beide zusammen sehen.« Ihre Finger spielten mit dem Bernstein an der Lederschnur um ihren Hals.
    »Keine Sorge«, suchte Christoph sie zu beruhigen. »Im Moment frönen die meisten noch der wohlverdienten Mittagsruhe. Lass uns einfach den schönen Tag genießen.« Munter schwenkte er den spitzen Hut, breitete die Arme zur Seite und streckte das blasse Studierzimmergesicht der Sonne entgegen. »Wir sollten uns sputen, Teuerste. Früher, als uns lieb ist, werden wir hinter den Öfen hocken und keinen Fuß mehr freiwillig vor die Tür setzen.« Er verschränkte die Arme vor der Brust, zog wie ein Storch ein Bein hoch und mokierte heftiges Frösteln. »Ganz zu schweigen davon, dass wir kaum noch einmal Gelegenheit finden werden, ungestört zusammen zu sein.«
    »Du bist wirklich noch der alte Kindskopf wie ehedem«, überging sie die Anspielung. »Nicht einmal die zwei Jahre in der Fremde haben dich zur Vernunft gebracht.« Zwar schüttelte sie entschlossen den Kopf, gab ihm insgeheim aber recht. Die Sonne verwöhnte die Dreistädtestadt am Pregel an diesem Septembersonntag wahrscheinlich zum letzten Mal in diesem Jahr. Das galt es, in vollen Zügen auszukosten. »Also gut, lass uns ein Stück miteinander gehen und erzähl mir genauer, warum es dir so ganz und gar nicht behagt hat, in den hehren Himmel der Wissenden emporzusteigen.«
    Ein eigenartiges Kribbeln breitete sich in ihrem Bauch aus. Christoph hatte ihr schon vor seiner Studienreise gut gefallen. Nun aber hatte er etwas an sich, das einen regelrechten Sog auf sie ausübte. Unauffällig musterte sie ihn von der Seite. Sein Äußeres hatte sich zu seinem Vorteil verändert. Aus dem ehedem etwas farblosen Burschen war ein eleganter junger Herr geworden. Die modisch geschnittene Kleidung rückte die breiten
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