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Das Bernsteinerbe

Das Bernsteinerbe

Titel: Das Bernsteinerbe
Autoren: Heidi Rehn
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daran. Sein Keuchen wurde schneller, seine gierig hervorquellenden Augen fraßen sie regelrecht auf. Schon versuchte er, nach ihrem Mund zu schnappen, sie ins Ohrläppchen zu beißen, sie zu lecken und zu küssen. Gleichzeitig schob er ihren Rock hoch, ließ die schwieligen Finger über die zarte Haut zwischen den Schenkeln gleiten. Hastig zerrte er an seiner Hose und drängte sich ihr ungestüm entgegen. Eng umschlungen fielen sie zu Boden.
    »Lasst mich!«, schrie sie verzweifelt. Doch sie waren allein im Haus, keiner würde sie hören. Brünstig wie ein Stier fiel der Wirt über sie her, wälzte sich mit ihr über den schmutzigen Wirtshausboden, absolut unempfänglich für das, was sie von ihm wollte: Fürsprache für ihre Wiedereinstellung als Magd. Geschlagen schloss sie die Augen und hoffte nur noch, es möge schnell vorübergehen.
    »Was ist denn hier los?« Die kreischende Stimme überschlug sich. Jäh sprang der Wirt vom Boden auf. Ein gewaltiger Schatten fiel auf Lina. Sie musste gar nicht erst hinsehen, um zu wissen, dass die Wirtin früher als erwartet zurückgekehrt war. Nervös versuchte ihr Mann, seine verräterische Blöße zu bedecken, und stopfte eilig das Hemd in die Hose. Sein riesiger Schädel glühte feuerrot, die grauen Bartstoppeln betonten die Scham auf seinem Gesicht.
    Lina sah eine letzte Möglichkeit. Hilflos wie ein Igel rollte sie sich zusammen, umschlang die Knie mit den Händen und weinte los. Kaum vermochte sie Luft zu holen, so arg beutelte sie das Schluchzen. Zaghaft blinzelte sie zwischen Tränen und Wimpern hindurch, sah jedoch außer klobigen Holzpantinen und dreckverklebten Stiefelspitzen kaum etwas. Angewidert kniff sie die Augen zusammen und jammerte weiter.
    Eine halbe Ewigkeit dauerte es, bis sich die Wirtin endlich erbarmte. »Bist du es, Lina?« Zunächst klang die Stimme besorgt, beinahe zärtlich. Unerwartete Freude glomm in Lina auf. Vielleicht bedurfte sie gar nicht der Hilfe des Wirts. Vielleicht wurde auch so alles gut, und die Wirtin nahm sie bei sich auf. Das hatte sie vor vielen Jahren schon einmal getan, hatte die katholische Zwölfjährige aus der allergrößten Not gerettet und sie den Klauen ihres Vaters entrissen, der sie ihr zur Begleichung seiner Zechschulden zum Verkauf angeboten hatte. Trotz dieser unglücklichen Umstände hatte sie Lina mitten im protestantischen Kneiphof einen sicheren Halt geboten. Wäre sie wenige Jahre später nicht so töricht gewesen und dem einfältigen Fritz auf den Leim gegangen, hätte sie den Schutz der zupackenden Frau gewiss bis ans Ende ihrer Tage genossen. Ein neuerliches Schluchzen schüttelte Linas dicken Leib.
    »Komm schon, Mädel, lass dich anschauen«, sagte die Wirtin leise. Vorsichtig rüttelte sie sie an den Schultern, bis Lina sich aufsetzte. Schnaufend griff die stämmige Frau ihr unter die Arme und zog sie hoch, bis sie dicht voreinander standen. Dann legte sie ihr die fleischige Hand unters Kinn und musterte sie aufmerksam. »Was hat der alte Hurenbock dir angetan?«
    Sie atmete Lina mitten ins Gesicht. Lina musste würgen, versuchte, dagegen anzukämpfen, biss sich auf die Lippen und senkte den Blick. Das war ein Fehler. Die Wirtin verstand das falsch.
    »Du altes Miststück!«, keifte sie los und schlug ihr so heftig auf die Wangen, dass es laut klatschte. Von dem Schwung flog ihr Kopf herum, das offene, strohblonde Haar vernestelte sich in den Fingern der Wirtin. »Dir werde ich helfen, einen anständigen Ehemann zu verführen! Am helllichten Tag, wenn Hausfrau und Gesinde die Einkäufe erledigen!«
    Wutentbrannt suchte sie sich von Linas Haaren zu befreien, zerrte, dass Lina vor Schmerz die Tränen in die Augen schossen. Schutzsuchend hob sie die Arme, doch das reizte die Wirtin zu weiteren Gewalttätigkeiten. Abermals versetzte sie ihr eine schallende Ohrfeige. »Das hätte ich mir gleich denken können, du pfäffisches Miststück. War doch nicht anders zu erwarten von einem Weib wie dir, das mitten in der Nacht mit einem tumben Fischerjungen davonrennt. Bist also doch eine Hure geblieben. Scher dich fort aus meinem Haus und lass dich nie wieder hier blicken!«
    Zur Bekräftigung nahm sie das Leintuch, das sie stets in ihrer Schürze stecken hatte, und drosch damit auf Lina ein. Quer durch die ganze Gaststube trieb sie sie wie ein ekelerregendes Tier vor sich her.
    »Haltet ein, gute Frau!«, flehte Lina verzweifelt. »Es ist alles ganz anders. Wie könnte ich Euren Mann verführen? Erinnert Euch, wie
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