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Das befreite Wort

Das befreite Wort

Titel: Das befreite Wort
Autoren: Peter Sprong
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Geschäft nutzte.
    Auf diese Weise sind die Albrecht-Brüder zu den vielleicht reichsten Unternehmern Deutschlands geworden und haben außerdem die Welt des Einzelhandels mindestens in Europa, vielleicht sogar weltweit für immer verändert. Denn ob es ohne ALDI je einen Wal-Mart gegeben hätte, ist zumindest fraglich. Es geht also offensichtlich auch ohne aktive Kommunikation der obersten Führungskräfte. Selbst der naturgesetzähnliche »Zwang zur Kommunikation« bei allen, die sich öffentlichen Wahlen stellen müssen oder auch nur ein »öffentliches«, das heißt: börsennotiertes Unternehmen leiten, kann zurückhaltender oder offensiver gestaltet werden. Für beides lassen sich gute Gründe finden.
    Der gute Grund für und das aktive Reden in der Öffentlichkeit aber ist auch fast zweieinhalbtausend Jahre nach der attischen Demokratie und ihren bedeutenden Rhetoren: Wer es gut macht, kann mit wenig Aufwand viel erreichen. Die »gute alte Rede« gehört im ständig wachsenden (und kostspieligen) Kommunikationsrepertoire der Moderne zu den vielleicht am meisten unterschätzten (und günstigsten) Medien. Ihr Wertbeitrag mag schwer quantifizierbar sein. Dafür ist er evident. Und: Wer für sein eigenes Reden von dieser Gewissheit ausgeht, wird es höchstwahrscheinlich erfolgreicher betreiben als jene Redner, die sich erst durch »objektive« Beweise über Notwendigkeit und Wirksamkeit des gesprochenen Wortes ans Rednerpult bewegen lassen. Die Grundlage echter rhetorischer Wirkung ist die subjektive Gewissheit. Genau die aber prägt – trotz gelegentlicher Ausnahmen von Gauck bis Gysi – das vorherrschende Bild und den Ton des öffentlichen Redens in Deutschland nicht.
    Es gibt verschiedene Möglichkeiten, dieses Manko zu überspielen. Geläufig sind vier Gattungen rhetorischer Merkwürdigkeiten:
    Erstens: Die Vorlesung. Ohne Zweifel ist dies die am meisten verbreitete Version der öffentlichen Rede in Deutschland. Ganz gleich, bei welcher Gelegenheit, ob Ausstellungseröffnung, Bundestagdebatte, Betriebsversammlung oder Pressekonferenz, sogar bei privaten Anlässen wie Geburtstag, Hochzeit oder Ehejubiläum werden mehrseitige ausformulierte Texte vorgetragen. Denn sie symbolisieren – gleichsam als Anleihe beim universitären Gelehrsamkeitsformat –, was noch immer als das höchste Gut des deutschen Redners gehandelt wird: Sachkompetenz und Bodenständigkeit. Dazu bieten sie ein vergleichsweise geringes Fehlerrisiko. Dagegen ist auch gar nichts einzuwenden, und zur Ehrenrettung dieser Form des Vortrags sei gleich gesagt: Fast alle berühmten Reden der Weltgeschichte waren und sind Manuskriptreden! Allerdings: Auch Vorlesen will gelernt sein. Wer seine Zuhörer zum Beispiel nicht ansieht, wird ihnen nicht begegnen, geschweige denn sie berühren!
    Zweitens: Die Chartpräsentation. Insgesamt wohl noch auf Platz zwei, in vielen – beruflichen – Zusammenhängen aber schon längst die Nummer Eins. Das PowerPoint-Programm aus dem MS-Office-Paket von Windows bestimmt den Redealltag. Die sogenannten »Charts«, also die meist aus Grafik und Text zusammengesetzten Einzelbilder einer Präsentation 10
› Hinweis
, werden immer öfter anstelle eines Textes »gelegt« und bestimmen dann nicht nur den Inhalt, sondern auch die Struktur eines Vortrages. Das bleibt nicht ohne Konsequenzen: Weil – in dramaturgischer Hinsicht – jedes Chart so wichtig (und reichhaltig) ist wie das vorhergehende und wie das folgende, ergießt sich die eifrig durchgeklickte Präsentation wie ein gleichförmiger Informationsstrom über den schnell sedierten Zuhörer. Das Problem: Weil das Ganze als modern gilt und vor allem ja extra erfunden wurde, um Reden und Vorträge »anschaulicher« und »unterhaltsamer« zu machen, darf kaum jemand seine Erschöpfung zugeben. Dankenswerterweise kommen neuerdings auch hier die »objektivierenden« Hirnforscher zu Hilfe und weisen nach, dass es die meisten PowerPoint-Präsentationen in ihrer Wirkung mit Schlafmitteln aufnehmen können. 11
› Hinweis
Allerdings verdient auch das Microsoft-Programm eine Ehrenrettung. Es kann nichts (oder nur wenig) dafür, dass es so kontraproduktiv eingesetzt wird. Mit PowerPoint ist es dasselbe wie – laut Werbung – mit Beton: »Es kommt drauf an, was man draus macht …«
    Drittens: Die Technikshow. Sie entsteht, wenn PowerPoint-Kulturen zugleich Geld haben. Eine verhängnisvolle Kombination! Viele Dutzend Charts pro Vortrag (mein persönlich
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