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Das befreite Wort

Das befreite Wort

Titel: Das befreite Wort
Autoren: Peter Sprong
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Zuschauer genau jenes Gefühl, das auch die Redner selbst beherrscht: Der ganze Auftritt ist »irgendwie komisch«, manchmal sogar regelrecht peinlich.
    Ohne es zu wissen, legen die Beobachter damit den Finger in die einzig wichtige rhetorische Wunde, das Gefühl der Peinlichkeit, genauer: das Gefühl der Scham und aller damit verbundenen Ängste. Denn das ist es, was das Geschäft des öffentlichen Redens in Wahrheit so schwierig macht: dass die meisten Rednerinnen und Redner lieber im sprichwörtlichen Boden versinken würden, als die angekündigte Rede zu halten. Ersatzweise halten sie sich fest, am Manuskript, an der PowerPoint-Präsentation, an Megatechnik oder sogenannten Rhetoriktipps. Denn was gibt es Beschämenderes als das Eingeständnis der eigenen Scham?
    Dabei gilt: Wo die Scham ist, ist der Weg. Wer sie bewusst empfindet, hat auf dem Weg zum befreiten Reden schon das Wichtigste geschafft, den Anfang!

Ein König bei Shakespeare
Oder: Wie es sein könnte und
was den Unterschied ausmacht
    Das Thema des öffentlichen Redens einmal nicht mit dem praktischen Ratgeber in Angriff zu nehmen, sondern über die Konfrontation mit den eigenen – auch unangenehmen – Gefühlen, fällt freilich nicht leicht. Helfen könnte dabei ein Blick auf das angestrebte Ziel – nach dem Motto: »Was wäre wenn …?«. Und wo – wenn schon nicht in der stets fragwürdigen Realität – könnte eine solche Vision erfolgreicher Rhetorik wirkungsvoller vor Augen gestellt werden als in der Dichtung? Und welcher Dichter könnte dies besser als der Altmeister dramatischer Bühnenrhetorik: William Shakespeare? 14
› Hinweis
    In seinem Königsdrama Heinrich V. etwa präsentiert er uns die völlig erschöpften und von monatelangen Kämpfen dezimierten englischen Truppen vor der französischen Gemeinde Azincourt. Es gilt, in einer entscheidenden Schlacht die Truppen der Franzosen zu besiegen. Allerdings sind die Engländer in einer äußerst schwierigen Lage: Ihre Gegner sind klar in der Überzahl. Und nicht nur das: Sie sind auch strategisch im Vorteil, denn sie haben die Engländer umzingelt. Diese sind – gemeinsam mit ihrem König Heinrich – in einem Kessel gefangen. Die Franzosen rüsten sich derweil auf den umliegenden Hügeln zum Kampf.
    »Wenn wir doch nur mehr wären«, beklagt sich in dieser Situation der Vetter des Königs. Der aber ist anderer Meinung und stellt klar: Es geht nicht um die Zahl der Soldaten. Es geht um die Entschlossenheit derer, die dabei sein wollen. Er verstehe zwar die Angst seiner Soldaten. Aber eben weil die Situation schwierig sei, könne er nur mit Kämpfern in die Schlacht ziehen, die furchtlos sind und entschlossen, für die gemeinsame Sache zu kämpfen. Dann folgt der Kernsatz, die Botschaft des Königs für seine Soldaten: »All things are ready if our minds be so!« 15
› Hinweis
    Den Ausschnitt der Rede vor Azincourt (aus der Verfilmung mit Kenneth Branagh in der Hauptrolle) können Sie sehen im Blog zum Buch unter:
http://www.nicolai-verlag.de/das-befreite-wort-blog/?p=162
    Es darf bezweifelt werden, dass sich diese Situation jemals exakt so zugetragen hat – aber auf historische Genauigkeit kommt es dabei gar nicht an. William Shakespeare hat hier – wie auch in anderen seiner Dramen – ein rhetorisches Lehrstück hinterlassen, das in der Ratgeberliteratur des 20. und 21. Jahrhunderts seinesgleichen sucht. Es ist ein herausragendes Beispiel der Redekunst nicht nur, weil König Heinrich V. sowohl im Drama als auch in der Wirklichkeit den Sieg davontrug – seine Rhetorik mithin erfolgreich war. Sondern vor allem, weil es in vorbildlicher Weise klarmacht, welchen Wertbeitrag eine gute Rede leistet und worauf es dabei ankommt. Mit anderen Worten: Dieses Beispiel illustriert die überragende Bedeutung der drei großen »G«:
Gefühl
Glaubwürdigkeit
Gefolgschaft
    Um zu verstehen, wie das eine (Gefolgschaft) mit dem jeweils anderen (Gefühl und Glaubwürdigkeit) zusammenhängt, lohnt es sich, einen Moment lang bei Shakespeare und seinen Helden zu bleiben. Denn die Situation, die Shakespeare in seinem Drama darstellt, ähnelt auf verblüffende Weise den zahlreichen Gelegenheiten in Wirtschaft, Politik, Kultur und Sport, bei denen es vor allem darum geht, die »eigenen Reihen zu schließen«; wo sich also der rhetorische Wille, zu überzeugen und zu einem bestimmten Handeln aufzurufen, nach innen, auf das eigene Team richtet. Die jährliche Führungskräftetagung im Unternehmen,
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