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Das befreite Wort

Das befreite Wort

Titel: Das befreite Wort
Autoren: Peter Sprong
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Schlimmer noch: Er schämt sich. Und das ist merkwürdig genug. Schließlich ist er doch »der Held des Tages«.
    Liegt es also nur an der englischen Sprache, in der er sich so wenig zu Hause fühlt, die zu benutzen man gleichwohl in dieser Pressekonferenz in London von ihm erwartet? Vielleicht. Wahrscheinlich aber – dafür spricht nicht zuletzt die verunglückte Darbietung des Vergleichs der Unternehmensfusion mit der ersten Mondlandung – hat die Scham noch tiefere Ursachen. Wahrscheinlich teilt Klaus Zumwinkel mit Millionen anderen Menschen auf der Welt jene Gefühls- und Verhaltensmerkwürdigkeit, die darin besteht, dass selbst die schönsten Erfolge keinen Grund zur Freude bieten – und wenn doch, dann taugen sie jedenfalls nicht zur öffentlichen Präsentation dieser Freude.
    Dass eine solche innere Verfassung einem erfolgreichen Auftritt als Redner nicht förderlich ist, liegt auf der Hand. Trotzdem wird ihr vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit zuteil. Vielleicht weil eine Beschäftigung damit den Menschen zu nahegeht und sie sich deshalb nur ungern darauf einlassen. Aufregung, Sprechhemmung oder das sogenannte Lampenfieber sind für die meisten Rhetorik-Ratgeber eine Sache des Vorworts oder dürrer Eingangskapitel. Mit durchaus erhellenden Exkursen in die Neurophysiologie und die Evolutionsgeschichte will man das Phänomen erklären und damit entschärfen. Tipps zum besseren Atmen und zur selbstbewussten Körperhaltung oder der Vorschlag, sich das Publikum in Unterhosen vorzustellen, sollen helfen, die lästigen Symptome zum Verschwinden zu bringen. Aber reicht das wirklich? Wie nachhaltig ist der Erfolg solcher Maßnahmen? Hätten Sie Herrn Zumwinkel geholfen?
    Die These dieses Buches lautet: Nein. Die hier folgenden Gedanken nehmen ihren Ausgang von der (nicht nur bei Klaus Zumwinkel gemachten) erstaunlichen Beobachtung, dass selbst die dem heiligen Augustinus zugeschriebene Weisheit über den rhetorischen Erfolg zu kurz greift. Sie besagt: »In Dir muss brennen, was Du in anderen entzünden willst.« Von den antiken Theoretikern der Rede über die mittelalterlichen Prediger bis hin zum Demagogen Hitler haben nahezu alle dieses Diktum auf ihre jeweils eigene Weise bestätigt. Und das völlig zu Recht, denn auch für die moderne Psychologie ist Affekterregung fast immer die Folge von Affektübertragung. 2
› Hinweis
Aber: So sehr das eigene »Brennen« für die Sache bei einem Vortrag eine notwendige Bedingung seines Erfolges ist – eine hinreichende ist es offenbar nicht. Denn das Beispiel Zumwinkel zeigt eindrücklich: Manch einer »brennt«, ohne jedoch zu leuchten.
    Man wird jedenfalls unterstellen dürfen, dass Klaus Zumwinkel im Jahre 2005 – durchaus legitime – Gefühle des Stolzes, wahrscheinlich sogar der Freude und Begeisterung über seinen Fusionscoup empfunden hat; dass er also »brannte« für den neuen Weltmarktführer der Logistik, für Umsatzwachstum und steigende Kurse an der Börse. Irgendetwas aber hinderte ihn wirkungsvoll daran, diese Begeisterung mitzuteilen. Schlimmer noch: Die Macht, die ihn daran hinderte, verführte ihn zugleich zu einem Auftritt, bei dem viele den Postchef nicht nur als »irgendwie unbeteiligt« erlebten, sondern gar als »abgehoben«, »distanziert« oder »arrogant«.
    Und spätestens damit verwandelt sich das für dieses Buch zunächst vielleicht übertrieben anmutende Interesse am Innenleben deutscher Redner in eine Fragestellung mit Wertschöpfungspotenzial. Denn wie wäre es, wenn die Chefs der Unternehmen, die Führungskräfte des Kulturbetriebs, die Repräsentanten der parlamentarischen Parteiendemokratie und die Vortragenden der Wissenschaften befreiter von den eigenen (Scham-)Ängsten und damit wirkungsvoller öffentlich reden würden? Was ließe sich gewinnen für Produktivität, Glaubwürdigkeit, politische Stabilität und Bildungsfortschritt? Oder anders herum: Was kosten gewisse Glaubwürdigkeitsdefizite deutscher Redner und Rednerinnen heute? Welche Rolle spielt – grundsätzlich gefragt – die Kommunikation überhaupt, insbesondere die persönliche Kommunikation, für die positive Entwicklung von Marken, Märkten und Meinungen, sei es in Politik, Kultur, Wirtschaft oder Medien?
    Die Frage ist so brisant, dass sich interessierte Kreise mit der Antwort viel Mühe gegeben haben und noch immer geben. Am 9. Juni 2010 etwa sorgte eine Nachricht der Meinungsforscher der Nürnberger Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) kurzfristig
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