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Das befreite Wort

Das befreite Wort

Titel: Das befreite Wort
Autoren: Peter Sprong
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Wirtschaftslandschaft.
    Natürlich läuft bei einem solchen Projekt nicht alles glatt. Es gibt auch Rückschläge. An diesem Tag aber strahlt das sonnige Gelb der Deutschen Post AG noch heller und fröhlicher als sonst. Zumindest sollte es dies tun – nach der Pressekonferenz mit Klaus Zumwinkel. Denn heute verkündet das Unternehmen in London der Öffentlichkeit offiziell, was eingeweihte Beobachter schon seit einiger Zeit wissen: Die Deutsche Post AG wird den britischen Logistikkonzern Exel übernehmen – eine Fusion von gewaltigen Ausmaßen. Es geht um eine halbe Million Mitarbeiter und um einen Jahresumsatz von über 50 Milliarden Euro. Es geht um nichts Geringeres als um die Entstehung des weltweit größten Logistikdienstleisters mit eigenen Filialen und Flugzeugen und einem Auslieferungsnetz, das den gesamten Globus umspannt. Man könnte sagen: Es ist der große Tag im Leben des Klaus Zumwinkel. Dass dem damals 61-Jährigen in den Jahren danach noch einmal ein ähnlich bedeutsamer Coup gelingen würde, ist nicht anzunehmen.
    Also: Vorhang auf zur großen Post- und Zumwinkel-Show? Sehen wir einen strahlenden Manager, der die Arme emporstreckt wie ein Politprofiim Blitzlichtgewitter vor applaudierenden Parteifreunden beim Wahlkampf-Parteitag? Natürlich nicht! Dergleichen gehört nicht zu den Usancen des deutschen Wirtschaftslebens – Gott sei Dank, möchte man hinzufügen, eingedenk gewisser (Pseudo-)Gefühlsshows, die beispielsweise in den USA gelegentlich in Szene gesetzt wurden. Der lautstarke Auftritt von Steve Ballmer etwa, seit dem Jahre 2000 Vorstandsvorsitzender (CEO) des Software-Herstellers Microsoft, ist noch heute ein Dauerbrenner bei youtube.
    Siehe Blog zum Buch unter:
http://www.nicolai-verlag.de/das-befreite-wort-blog/?p=124
    Was aber tut Klaus Zumwinkel? Als wäre es ein Tag wie jeder andere, als wäre es eine Pressekonferenz wie viele zuvor und viele danach, nimmt er Platz auf seinem Stuhl in der Mitte der Tischreihe, die man auf dem Podium aufgebaut hat. Nicht einmal ein Rednerpult haben die Kommunikationsverantwortlichen ihrem Chef gegönnt, auf dass er die frohe Kunde von der Großfusion erhobenen Hauptes, aufrecht stehend hinaus ins Land rufen möge. Stattdessen schlägt der oberste deutsche Postmanager die doch so Vertrauen erweckenden Augen nieder, um auf dem Tisch vor sich das Manuskript seiner Rede ablesen zu können. Kaum je schaut er die aufmerksam zuhörenden Vertreter der internationalen Wirtschaftspresse an, die sich an diesem Tag erwartungsvoll in London versammelt haben. In schlechtem Englisch – diese Sprache ist offensichtlich nicht Zumwinkels Stärke – verkündet er die nüchternen Fakten und richtet höfliche Floskeln an die Adresse seiner britischen Geschäftspartner. Noch heute wird der Betrachter dieses Auftritts von Gefühlen des Mitleids und Bedauerns ergriffen. Wohl auch deshalb ist der Videomitschnitt der Rede auf jener Pressekonferenz ein Klassiker in Kommunikations- und Medienseminaren, wenn der Dozent den Teilnehmern zeigen will: So sollten Sie es genau nicht machen!
    Siehe Blog zum Buch unter:
http://www.nicolai-verlag.de/das-befreite-wort-blog/?p=140
    Ihren traurigen Höhepunkt erreicht die Szene bezeichnenderweise an der Stelle, als Zumwinkel jene Passage vorliest, die den berühmten Ausspruch Neil Armstrongs bei der Mondlandung paraphrasiert. »Vielleicht«, so teilt der Postchef schulterzuckend in seinem Englisch mit überdeutlich deutschem Akzent mit, »könnte man sagen: Der Zusammenschluss von Deutsche Post und Exel ist wohl nur ein kleiner Schritt für die Menschheit, ein großer jedoch für die Welt der Logistik.« Dabei lächelt er verlegen und jeder versteht: Hier hat er eine Formulierung vorgelesen, die von den Redenschreibern humorvoll gemeint war und bei der sie wahrscheinlich schon die Schlagzeilen des nächsten Tages vor Augen hatten. Aber: Klaus Zumwinkel fand das nicht lustig – nur lächerlich. Vielleicht fand er sogar sich selbst lächerlich – bei der Vorstellung, dass er sich mit jenem großen Pionier der Raumfahrt vergleichen sollte.
    Der Verdacht auf eine derartige Befindlichkeit jedenfalls liegt mehr als nahe, denn Mimik und Gestik des Redners sprechen Bände: Die konsequente Vermeidung des Blickkontakts, der gesenkte Kopf, das verlegene Lächeln, die angespannten Schultern und die offenbar zeitweise zwischen den Knien eingeklemmten Unterarme – das alles signalisiert: Dieser Mann fühlt sich nicht wohl in seiner Rolle.
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