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Das befreite Wort

Das befreite Wort

Titel: Das befreite Wort
Autoren: Peter Sprong
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seiner Herkunft, erwähnt ausdrücklich, dass noch sein Großvater den Briten als Sklave gedient und sein Vater in Kenia Ziegen gehütet habe. 108
› Hinweis
Er berichtet davon, wie sein Vater mit großer Zähigkeit schließlich doch den Weg an eine amerikanische Universität fand. Das Schlüsselwort in dieser Passage heißt »Sehnsucht« (yearning). Mit der Hilfe dieses Begriffs verbindet Obama seine eigene Geschichte und die von Millionen Amerikanern mit den Zuhörern in Berlin sowie mit allen anderen »Weltbürgern«. Die Sehnsucht sei es, die er ebenso kenne wie die Berliner. Er erinnert an die Luftbrücke als historisches Zeichen dieser Verbindung und an die Kraft der Sehnsucht nach Freiheit, die den West-Berlinern das politische Überleben ermöglicht und schließlich den Sieg gebracht hätte. Im Anschluss daran schlägt er die gedankliche Brücke vom Nachkriegsberlin in die globalisierte Welt von heute, deren neuen Bedrohungen man wiederum nur widerstehen kann durch die Besinnung auf die gemeinsamen Werte, durch eine diesmal ins Globale gewendete Anstrengung der Sehnsucht:
    »That is why the greatest danger of all is to allow new walls to divide us from one another. The walls between old allies on either side of the Atlantic cannot stand. The walls between the countries with the most and those with the least cannot stand. The walls between races and tribes; natives and immigrants; Christian and Muslim and Jew cannot stand. These now are the walls we must tear down.« 109
› Hinweis
    Es sind Passagen wie diese, die der Rede ihren spezifischen Charakter und ihr besonderes Pathos 110
› Hinweis
verleihen. Und sie wirken – auf das Publikum im Tiergarten ebenso wie auf die TV- und Internetnutzer in den USA und anderswo – deshalb so überzeugend, weil es Obama hier gelingt, mit dem »Sehnsuchts«-Motiv eines seiner wichtigsten persönlichen Gefühle zum tragfähigen Zentrum seiner politischen Argumentation zu machen. Es sind Passagen wie diese, die das »Authentische« der Wirkung Obamas ausmachen. Fast könnte man meinen (und vielleicht stimmt es sogar), dass Obama jene Empfehlung Ciceros für Redner wörtlich befolgt, die bereits zitiert wurde: »Die Gedanken und Topoi, die wir in der Rede vorbringen und behandeln, haben selber eine solche Kraft, dass Vortäuschung und Betrug gar nicht nötig sind. Denn die Natur der Rede, die andere erschüttern soll, erschüttert den Redner selbst noch mehr als irgendeinen der Zuhörer.«
    Geradezu mustergültig demonstriert die Rede Obamas in Berlin auf diese Weise die weiter oben entwickelte Idee der Rollen-Authentizität in Abgrenzung zur Idee einer »reinen«, also persönlichen Authentizität. Denn natürlich mag sich beispielsweise die tatsächliche Bewunderung Obamas für Berlin und für die Berlinerinnen und Berliner in durchaus engeren Grenzen halten, als es die Rede nahelegt. Es ist zwar nicht zu beweisen, aber nicht ganz unwahrscheinlich, dass Obama von Fritz Reuter, dem Regierenden Bürgermeister Berlins während der Luftbrücke, den er nun in seiner eigenen Rede zitiert, vor seinem Auftritt in Berlin noch nicht allzu oft gehört hatte. Auch ist durchaus anzunehmen – teilweise auch zu belegen –, dass Obama gegenüber dem deutschen Bündnispartner in wichtigen Sachthemen eher skeptisch bis kritisch eingestellt war: Die Haltung der Deutschen zum Irak-Krieg etwa, die Frage des deutschen militärischen Engagements in Afghanistan, der sogenannte Antiamerikanismus in bestimmten Teilen der deutschen Öffentlichkeit – das alles mag die »authentische« innere Haltung des US-Senators zu Deutschland möglicherweise mehr oder mindestens ebenso beeinflusst haben wie die verbindenden Elemente zwischen beiden Staaten. Für die Darstellung seiner Rolle und seiner »Figur« aber konzentriert er sich auf die Letzteren – und findet mit dem Sehnsuchtsmotiv ein wichtiges und wirkungsvolles Moment der Gemeinsamkeit mit seinem Publikum.
    Ausschlaggebend für seinen Erfolg beim Publikum ist dabei, dass es sich bei dieser Gemeinsamkeit im Kern eben nicht um eine konstruierte intellektuelle Gemeinsamkeit handelt, sondern um eine Verbindung, die unmittelbar durch ein Gefühl gestiftet wird. Daraus ergibt sich zugleich ihre wichtigste inhaltliche Botschaft: die Erneuerung der transatlantischen Verbundenheit sowie ihre Erweiterung in Richtung einer globalen Solidarität der Weltbürger. Mustergültig stimmen in der Rede Obamas Affekthaltung und inhaltliche Aussage
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