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Das Band spricht Bände

Das Band spricht Bände

Titel: Das Band spricht Bände
Autoren: Carter Brown
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das
Dumme bei der Sache, Sam — er ist eben ein Durchschnittstyp.«
    »Von solchen Leuten laufen
täglich Tausende durch unsere Hotelhalle«, sagte er hilflos.
    »Jeder Mensch hat irgend etwas
Bestimmtes an sich«, sagte ich verzweifelt. »Sie sind doch ein guter
Menschenkenner, Sam; wenn ich nur darauf käme, was an ihm...«, ich schnalzte
mit den Fingern, »... ich hab’s, seine Stimme! Auch wenn er lächelt und
vollendet höflich ist, hört man’s heraus. Man ahnt unter der Oberfläche Rohheit
und Gewalt. Wenn ich mal einen verrückten Vergleich ziehen darf: Es ist, als
beobachte man einen Tiger im Zoo. Die meiste Zeit würdigt er die Gitterstäbe
keines Blickes, aber man weiß ganz genau — wenn jemand auch nur zwei Stäbe
entfernte, wäre der Tiger einen Augenblick später aus dem Käfig heraus.«
    Der Empfangschef nahm die
randlose Brille ab und putzte sorgfältig die Gläser mit seinem Taschentuch, und
seine Züge regten sich ebensowenig wie beim letzten der holzgeschnitzten
Mohikaner.
    »Na ja, dann eben nicht, Sam«,
sagte ich niedergeschlagen.
    Er setzte die Brille wieder
auf, und da leuchteten seine Augen plötzlich wie Scheinwerfer. »Ich hab’s!«
sagte er aufgeregt. »Sie haben eine glückliche Art, sich auszudrücken, Mr. Boyd
— >man ahnt unter der Oberfläche Rohheit und Gewalt<.« Er kicherte
beglückt. »Und er hat solch halbgeschlossene Augen?«
    »Stimmt«, gab ich zu.
    »Er war hier, unmittelbar
nachdem ich um 14 Uhr meinen Dienst angetreten hatte. Er wollte die
Zimmernummer von Mrs. Wayland wissen.«
    »Was hat er gesagt, genau?«
    »Er bat mich, bei ihr anzurufen
und ihr mitzuteilen, ein alter Freund der Familie, ein Bekannter ihrer
Schwester, möchte sie gern ein paar Minuten sprechen, wegen verschiedener
Familienfotos. Sie schien ganz überrascht, als ich ihr das mitteilte, dann bat
sie mich, den Herrn zu ihr hinaufzuschicken.«
    »Danke, Sam.« Ich ließ einen
Zehner auf den Tisch flattern.
    »Es ist mir jedesmal ein
Vergnügen, Ihnen einen Gefallen erweisen zu dürfen, Mr. Boyd.«
    Ich suchte mir aus dem
Telefonbuch die Privatanschrift des alten MacKenzie, dann ließ ich mir vom
Portier ein Taxi rufen. Es hielt zehn Minuten später vor einer ansehnlichen
Villa in einer ruhigen Nebenstraße, und ich bat den Fahrer, er möge warten.
Dann marschierte ich zur Veranda hinauf und klingelte. Charlie MacKenzie
öffnete kurz darauf die Haustür, und ein leichtes Schmunzeln glättete sein
faltenreiches Gesicht, als er mich erkannte.
    »Kommen Sie rein in die gute
Stube, Danny. Ich wollte mir gerade ein Gläschen genehmigen.«
    Das Wohnzimmer war
geschmackvoll möbliert, aber es haftete ihm das Odium des Unbenutzten an, das
daher rührt, wenn ein Mann allein lebt. Ein Möbelstück freilich unterschied
sich von den übrigen, denn es wirkte überaus benutzt, und das war die
holzgeschnitzte Hausbar in der einen Ecke. MacKenzie schob sein Schwergewicht
hinter die Theke und sah mich fragend an.
    »Ein bißchen Rye, mit viel
Eis«, sagte ich. »Ich hab’ nicht viel Zeit, Charlie, also hören Sie mir am
besten genau zu, ja?«
    Ich erläuterte ihm Jackies
Theorie, wie Wayland die drei Millionen bei sich selber hatte leihen wollen, um
dann nach erfolgtem Firmenzusammenschluß MacKenzie glatt hinauszukatapultieren.
Er verzog keine Miene, während er zuhörte, aber seine grauen Augen wurden immer
finsterer.
    »Jemand hat den Halunken heute
in der Früh umgebracht, wissen Sie das?« Ich nickte, und er zuckte die breiten
Schultern. »Wenn Sie mir das gestern abend erzählt hätten, hätte ich ihn
womöglich selber erschossen. Haben Sie eine Ahnung, wer’s getan hat, Danny?«
    »Derselbe Täter, der Alysia
ermordet hat«, sagte ich.
    »Was ist denn das für eine
Antwort?« Er hob die Brauen.
    »Ich bin mir nicht ganz klar,
wie Sie das aufnehmen werden«, erklärte ich verhalten, »aber ich brauche Ihre
Hilfe jetzt sehr dringend.«
    »Meinetwegen«, brummte er.
    »Ich bin der Ansicht, daß ein
gewisser Charles MacKenzie, der Zweite, beide Morde begangen hat.«
    Er setzte das Glas an die
Lippen und leerte es gemächlich, dann stellte er es auf die Bar und füllte es
neu. »Wie denken Sie sich denn meine Hilfe?« meinte er.
    »Die Fotos, die Sie von Alysia
und den vier jungen Athleten gemacht haben«, sagte ich. »Was ist aus denen
geworden?«
    »Ich hab’ sie am Tag der
Scheidung vernichtet.«
    »Alle?« bohrte ich.
    Umständlich wickelte er die
Cellonphanhülle von einer überdimensionalen Zigarre. »Ein
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