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Das Auge des Leoparden

Das Auge des Leoparden

Titel: Das Auge des Leoparden
Autoren: Henning Mankell
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eigenen Lebens?
    Im bleichen Licht am Radio versucht Erik Olofson zu verstehen.
    Aber die Fragen kehren immer wieder und stehen auch am nächsten Abend noch Spalier. Erik Olofson versucht, in den Kern einer Lüge einzudringen, zu verstehen und weiterhin auszuharren.
    Schließlich schlafen sie beide, der Seemann aus Åmsele und sein zwölfjähriger Sohn. Die Balken knacken in der winterlichen Dunkelheit. Ein Hund läuft im Mondlicht am Flußufer entlang.
    Aber die beiden zottigen Elchhunde liegen in der Küche zusammengekauert vor dem Herd. Spitzen die Ohren und legen sie wieder an, wenn die Balken ächzen und klagen.
    Das Haus am Fluß schläft. Das Morgengrauen ist noch fern in dieser schwedischen Nacht des Jahres 1956.

S EINE ABREISE nach Afrika kann er sich als schemenhaftes Schattenspiel ins Gedächtnis rufen.
    Die Erinnerungen sind wie ein Wald, der früher übersichtlich und licht war, mit der Zeit jedoch immer undurchdringlicher geworden ist. Ihm fehlen die nötigen Gerätschaften, um Unterholz und Gestrüpp in dieser Landschaft zu beseitigen. Die Erinnerungen vermehren sich, die Landschaft wird immer unübersichtlicher.
    Dennoch ist ihm von jenem frühen Morgen im September 1969, an dem er all seine Horizonte hinter sich läßt und in die Welt hinausfliegt, das eine oder andere im Gedächtnis haften geblieben.
    Der Himmel über Schweden ist an diesem Morgen wolkenverhangen. Ein endloser Teppich aus Regenwolken hängt über seinem Kopf, als er zum erstenmal in ein Flugzeug steigt: Als er über das Flugfeld geht, dringt Wasser in seine Schuhe.
    Ich verlasse Schweden mit nassen Strümpfen, denkt er. Sollte ich Afrika jemals erreichen, überbringe ich vielleicht herbstliche Grüße in Form einer Erkältung.
    Auf dem Weg zum Flugzeug hat er sich noch einmal umgedreht, als gäbe es hinter ihm doch jemanden, der ihm zum Abschied zuwinkt. Aber die grauen Schatten auf der Dachterrasse des Flughafens haben nichts mit ihm zu tun. Niemand verfolgt seine Abreise.
    Beim Einchecken wenige Minuten zuvor hatte er plötzlich große Lust bekommen, das Flugticket wieder an sich zu reißen, zu rufen, daß alles ein Irrtum sei, und schnell den Flughafen zu verlassen. Statt dessen bedankt er sich, als ihm zusammen mit der Bordkarte und guten Reisewünschen das Ticket wieder ausgehändigt wird.
    Sein erster Zwischenstop auf dem Weg zum fremden Horizont ist London. Von dort geht es nach Kairo, Nairobi und schließlich nach Lusaka.
    Er sagt sich, daß er ebensogut zu einem entlegenen Sternbild unterwegs sein könnte, der Leier oder einem der schwach leuchtenden Gürtelsterne des Orion.
    Über Lusaka weiß er nur so viel, daß die Stadt nach einem afrikanischen Elefantenjäger benannt ist.
    Mein Auftrag ist ebenso absurd wie lächerlich, denkt er. Wer außer mir ist schon unterwegs zu einer seltsamen Missionsstation mitten im Busch im Nordwesten Sambias, weit entfernt von den Hauptstraßen nach Kinshasa und Chingola? Wer reist schon mit einem flüchtigen Impuls als einzigem Handgepäck? Mir fehlt ein sorgfältig ausgearbeiteter Reiseplan, niemand begleitet mich bei meiner Abreise, niemand wird mich abholen. Die Reise, die ich in Kürze antreten werde, ist eine Ausflucht.
    So denkt er damals, und von da an hat er nur noch vage Erinnerungen daran, daß er im Flugzeug sitzt und sich krampfhaft festhält. Der Flugzeugrumpf vibriert, der Düsenantrieb heult, die Maschine beschleunigt.
    Mit leicht geneigtem Kopf steigt Hans Olofson auf in die Luft.
    Siebenundzwanzig Stunden später, genau nach Fahrplan, landet er auf dem Lusaka International Airport.
    Natürlich ist niemand gekommen, um ihn abzuholen.

H ANS OLOFSONS erste Begegnung mit dem afrikanischen Kontinent verläuft ohne besondere Vorkommnisse. Er ist der europäische Besucher, der weiße Mann voller Überheblichkeit und Furcht, der sich gegen das Fremde wehrt, indem er es auf der Stelle verdammt.
    Auf dem Flugplatz herrscht Chaos, umständliche Einreisedokumente mit fehlerhaft geschriebenen Anweisungen müssen ausgefüllt werden, für die afrikanischen Paßkontrolleure scheinen Zeit oder Organisation keine Rolle zu spielen. Hans Olofson wartet lange in einer Schlange, um dann brüsk in eine andere verwiesen zu werden, als er den braunen Schalter erreicht hat, auf dem schwarze Ameisen unsichtbare Essenspartikel schleppen. Er begreift, daß er in der Schlange für heimkehrende Reisende mit einem sambischen Paß oder einer Aufenthaltsgenehmigung angestanden hat. Ihm läuft der
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