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Das Auge des Leoparden

Das Auge des Leoparden

Titel: Das Auge des Leoparden
Autoren: Henning Mankell
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jemand zu sein, der nicht existiert, nicht einmal für den, der beim Zimmerservice seine Bestellung aufgenommen hat.
    Hans Olofson sieht, daß auch der Hoteldiener fast auseinanderfallende Schuhe trägt. Ein Absatz fehlt, und die Sohle des zweiten Schuhs steht offen wie ein Fischmaul. Da er sich wegen des Trinkgeldes unsicher ist, gibt er viel zuviel, und der Kellner sieht ihn fragend an, ehe er lautlos aus dem Zimmer verschwindet.
    Nach der Mahlzeit schläft er und wird erst wach, als es schon Abend ist. Er öffnet das Fenster, schaut in die Dunkelheit hinaus und wundert sich, daß die Hitze noch genauso intensiv ist wie am Morgen, obwohl die gleißende Sonne mittlerweile untergegangen ist.
    Vereinzelt erkennt man den schwachen Lichtschein von Straßenlaternen. Schwarze Schatten huschen vorbei, ein Lachen dringt aus einer fremden Kehle auf dem Parkplatz unter seinem Fenster.
    Er betrachtet die Kleider in seinem Koffer und ist unsicher, wie man sich im Speisesaal eines afrikanischen Hotels kleidet. Ohne sich wirklich für bestimmte Kleidungsstücke entschieden zu haben, zieht er sich an und versteckt die Hälfte seines Geldes in einem Hohlraum im Zement hinter dem Toilettenstuhl.
    An der Bar bemerkt er erstaunt, daß die meisten Gäste Weiße sind, umgeben von schwarzen Kellnern, die alle schlechte Schuhe tragen. Er geht zu einem leeren Tisch, läßt sich auf einen Stuhl fallen, der ihn an die Rückbank im Taxi erinnert, und wird auf der Stelle von dunkelhäutigen Kellnern umringt, die seine Bestellung erwarten.
    »Einen Gin Tonic, bitte«, sagt er höflich.
    Einer der Kellner antwortet bedauernd, daß sie leider kein Tonic hätten.
    »Gibt es denn nichts anderes, womit sie mixen können?« fragt Hans Olofson.
    »Es gibt frischgepreßte Orangen«, antwortet der Kellner.
    »Auch gut«, meint Hans Olofson.
    »Leider haben wir auch keinen Gin«, sagt der Kellner.
    Hans Olofson gerät ins Schwitzen.
    »Was gibt es denn?« fragt er freundlich.
    »Hier gibt es nichts«, antwortet ihm plötzlich eine Stimme vom Nachbartisch. Hans Olofson dreht sich um und erblickt einen aufgedunsenen Mann in einem abgewetzten Khakianzug; sein Gesicht ist hochrot. »Das Bier ging vor einer Woche aus«, fährt der Mann fort. »Heute gibt es nur Kognak und Sherry. Zumindest noch für ein paar Stunden. Einem Gerücht zufolge soll es morgen Whisky geben. Vielleicht ist ja was dran.«
    Der Mann beendet seinen Kommentar mit einem wütenden Blick auf den Kellner und sackt auf seinem Stuhl in sich zusammen.
    Hans Olofson bestellt einen Kognak. Afrika kommt ihm wie ein Kontinent vor, auf dem alles zur Neige geht.
    Beim dritten Glas Kognak setzt sich eine Afrikanerin neben ihn und lächelt ihn einladend an. »Darf ich Ihnen ein wenig Gesellschaft leisten?« fragt sie.
    Er fühlt sich geschmeichelt, obwohl er weiß, daß die Frau eine Prostituierte ist. Sie kommt zu früh, denkt er. Ich bin noch nicht soweit. Er schüttelt den Kopf. »Nein«, antwortet er. »Heute abend nicht.«
    Sie betrachtet ihn weiterhin lächelnd. »Und wie ist es mit morgen?«
    »Irgendwann einmal«, antwortet er. »Morgen bin ich vielleicht schon abgereist.«
    Die Frau steht auf und verschwindet im Halbdunkel an der Bar.
    »Huren«, sagt der Mann am Nachbartisch, der wie ein Schutzengel über Hans Olofson zu wachen scheint. »Die sind hier ziemlich billig«, fährt er fort, »aber in den anderen Hotels sind sie besser.«
    »Aha«, antwortet Hans Olofson höflich.
    »Hier sind sie entweder zu alt oder zu jung«, fährt der Mann fort. »Früher war alles besser.«
    Hans Olofson erfährt nicht mehr, was früher alles besser gewesen sein soll, da der Mann das Gespräch abbricht, sich auf seinem Stuhl zurücksinken läßt und die Augen schließt.
    Im Restaurant wird er sogleich von anderen Kellnern umringt, die auch abgetretene Schuhe tragen. Ein Kellner, der eine Wasserkaraffe auf seinen Tisch stellt, trägt erst gar keine Schuhe, und Hans Olofson betrachtet seine nackten Füße.
    Nach längerem Überlegen bestellt er ein Fleischgericht. Als das Essen serviert wird, bekommt er heftige Darmkrämpfe.
    Einem der Kellner fällt sofort auf, daß er die Gabel wieder fortlegt. »Schmeckt es nicht?« erkundigt er sich besorgt.
    »Es schmeckt bestimmt ausgezeichnet«, erwidert Hans Olofson. »Aber leider ist mein Magen ein wenig in Aufruhr.«
    Dann hält er es nicht länger aus. Verblüffte Gäste beobachten seinen fluchtartigen Aufbruch, und er denkt, daß er es nicht mehr rechtzeitig auf
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