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Das Auge des Leoparden

Das Auge des Leoparden

Titel: Das Auge des Leoparden
Autoren: Henning Mankell
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Oberschenkelknochen des Elefanten auf seinem Grund zu erkennen. Dann wirft er den Revolver in den Fluß, kehrt zum Haus zurück und nimmt seinen Koffer. In der Jacke stecken Paß und Geld in einem Plastiketui. Patel erwartet ihn auf der Terrasse. Als Hans Olofson sich nähert, steht er schnell auf und verbeugt sich.
    »Geben Sie mir noch fünf Minuten«, sagt Hans Olofson. »Warten Sie im Auto auf mich.«
    Patel eilt mit fliegenden Hosenbeinen die Treppe hinab, und Hans Olofson versucht die neunzehn Jahre so zu verdichten, daß sie Platz in einem letzten Augenblick haben. Vielleicht werde ich das alles erst nachträglich verstehen können, denkt er. Welche Bedeutung haben all diese Jahre in Afrika, die so unwahrscheinlich schnell vergangen sind und mich unversehens zu einem Mann mittleren Alters gemacht haben? Ich habe das Gefühl, mich in einer schwerelosen Leere zu bewegen. Nur mein Paß bekräftigt, daß ich noch existiere.
    Ein Vogel mit Schwingen wie ein purpurfarbener Mantel fliegt vorüber. Ich werde mich an ihn erinnern, denkt er und setzt sich in den Wagen des wartenden Patel.
    »Fahren Sie vorsichtig«, sagt Hans Olofson.
    Patel sieht ihn betrübt an. »Ich fahre immer vorsichtig, Mister Olofson.«
    »Sie führen ein Leben, bei dem sie niemals ins Schwitzen kommen«, sagt Hans Olofson. »Ihr Erbe ist die Gier, sonst nichts, ganz bestimmt nicht Ihr bekümmertes, wohlmeinend falsches Gesicht. Fahren Sie jetzt, antworten Sie nicht!«
    Am Nachmittag steigt er vor dem Ridgeway Hotel aus dem Auto. Er wirft die Hausschlüssel auf den Beifahrersitz und läßt Patel stehen. Ihm fällt auf, daß der Afrikaner, der ihm die Tür aufhält, genauso schlechte Schuhe trägt wie die Hotelangestellten bei seiner Ankunft vor fast neunzehn Jahren.
    Wie gewünscht bekommt er Zimmer 212, erkennt es jedoch kaum wieder. Das Zimmer ist verändert, die Winkel sind anders. Er zieht sich aus und verbringt die Wartezeit im Bett.
    Nach zahlreichen vergeblichen Versuchen gelingt es ihm telefonisch, sich seinen Flug bestätigen zu lassen. Für ihn ist ein Platz unter den Sternen reserviert.
    Erleichterung und Sorge, denkt er, ich empfinde beides. Dieses Gefühlspaar bildet meinen mentalen Schutzschild. Es sollte auf meinem Grabstein stehen. Der Geruch von Elchhunden und afrikanischen Holzkohlefeuern, das sind die Grundelemente meines merkwürdigen Lebens …
    Doch es gibt auch noch etwas anderes. Ein Mensch wie Patel oder Lars Håkansson lernt die Welt verstehen, um sie ausnutzen zu können. Peter Motombwane verstand sie, um sie zu verändern. Er gelangte zu einer Erkenntnis, wählte aber die falsche Waffe zur falschen Zeit. Trotzdem ähneln wir einander. Zwischen Patel und mir tut sich dagegen ein Abgrund auf. Und Lars Håkansson ist tot. Peter Motombwane und ich sind die Überlebenden, obwohl nur noch mein Herz schlägt. Diese Erkenntnis kann mir keiner nehmen.
    Als es dunkel wird im Hotelzimmer, denkt er an Janine und ihren Traum von Mutshatsha. Ihre einsame Wache an der Straßenecke zwischen dem Gewerkschaftshaus und dem Eisenwarengeschäft.
    Peter Motombwane, denkt er. Peter, Janine und ich …
    Ein klappriges Taxi bringt ihn zum Flughafen. Hans Olofson gibt dem Taxifahrer, der noch sehr jung ist, seine letzten
kwacha
-Scheine.
    In der Warteschlange beim Einchecken stehen fast nur Weiße.
    Hier endet Afrika, denkt er. Schon jetzt ist Europa näher als die weiten Ebenen mit dem hohen Elefantengras.
    Im Stimmengewirr an den Abfertigungsschaltern horcht er auf das Grunzen des Flußpferds. Hinter den Säulen der Halle glaubt er das Auge des Leoparden zu erkennen, das über ihn wacht. Dann durchläuft er die verschiedenen Kontrollen.
    In der Ferne erklingen plötzlich Trommeln in seinem Innern. Marjorie und Peggy tanzen, ihre schwarzen Gesichter glänzen.
    Damals hat mich niemand abgeholt, denkt er.
    Statt dessen bin ich mir selbst begegnet.
    Bei meiner Abreise begleitet mich nur der Mensch, der ich damals war und den ich nun zurücklasse.
    Sein Blick fällt auf sein Spiegelbild in einer der großen Fensterfronten des Flughafens.
    Jetzt fahre ich nach Hause, denkt er. Eigentlich nichts Merkwürdiges, aber für mich merkwürdig genug.
    Das große regennasse Flugzeug glänzt im Scheinwerferlicht.
    Auf dem Flugfeld, im Lichtschein einer gelben Lampe, steht in der Ferne regungslos, in einen Gedanken versunken, ein einsamer Afrikaner. Hans Olofson beobachtet ihn lange, ehe er an Bord des Flugzeugs geht, mit dem er Afrika verläßt.
    Das war
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