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Das Auge des Leoparden

Das Auge des Leoparden

Titel: Das Auge des Leoparden
Autoren: Henning Mankell
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Prophezeiung ausgesprochen, verliert der Wagen ein Vorderrad, kommt schleudernd von der Straße ab und landet im Straßengraben. Hans Olofson schlägt mit der Stirn gegen die Stahlkante des Vordersitzes und wirft sich aus dem Auto, weil er fürchtet, es könnte jeden Moment explodieren.
    Der Taxifahrer betrachtet ihn erstaunt, hockt sich vor den Wagen und nimmt die Vorderachse in Augenschein, die ihm entgegengähnt. Vom Autodach hakt er ein geflicktes Reserverad ohne jedes Profil los. Hans Olofson hockt auf der roten Erde und schaut dem Taxifahrer zu, der mit gemächlichen Bewegungen den Ersatzreifen montiert. Ameisen laufen auf seinen Beinen, und die Sonne sticht mit solcher Kraft, daß die Welt vor seinen Augen weiß wird.
    Um das zu ertragen und sein inneres Gleichgewicht wiederzufinden, sucht sein Blick nach etwas, was ihm bekannt vorkommt. Etwas, was ihn an Schweden und sein gewohntes Leben erinnert, aber er findet nichts. Erst als er die Augen schließt, mischen sich die fremden afrikanischen Gerüche mit vagen Erinnerungen.
    Der Ersatzreifen ist montiert, und die Fahrt geht weiter. Mit schlenkernden Lenkradbewegungen lotst der Fahrer sein Taxi nach Lusaka, der nächsten Stufe des Alptraums, zu dem sich Hans Olofsons erste Begegnung mit Afrika entwickelt. Die Stadt ist ein einziges lärmendes Chaos aus schrottreifen Autos, Fahrradkolonnen und fliegenden Händlern, die ihre Waren offensichtlich mitten auf der Straße ausgelegt haben. Es stinkt nach Öl und Abgasen, und an einer roten Ampel hält Hans Olofsons Taxi neben einem Lastwagen, der mit abgehäuteten Tierkadavern beladen ist. Ein Schwarm schwarzer und grüner Fliegen findet unverzüglich den Weg ins Taxi, und Hans Olofson fragt sich, ob er jemals ein Hotelzimmer mit einer Tür finden wird, die er hinter sich zumachen kann.
    Schließlich gelangen sie doch noch zu einem Hotel. Das Taxi bremst unter blühenden Jakarandabäumen, und einem Afrikaner in einer eingelaufenen und abgewetzten Uniform gelingt es, die Autotür zu öffnen und ihm auf die Beine zu helfen. Hans Olofson gibt dem Taxifahrer, was er verlangt, obwohl der genannte Preis absurd hoch ist. An der Rezeption muß er längere Zeit warten, bis endlich jemand ermittelt hat, ob es noch ein freies Zimmer gibt. Er füllt ein endlos langes Anmeldeformular aus und denkt, daß er unbedingt seine Ausweisnummer auswendig lernen muß, die er nun schon zum viertenmal angeben muß. Den Koffer hat er sich zwischen die Beine geklemmt, weil er überall Diebe vermutet. Als nächstes steht er eine halbe Stunde an, um Geld zu wechseln, füllt wieder Formulare aus und wird dabei das Gefühl nicht los, genau diese Formulare schon einmal vorgelegt bekommen zu haben.
    Ein klappriger Aufzug bringt ihn schließlich nach oben, und ein Gepäckträger in zerschlissenen Schuhen trägt seinen Koffer. Zimmer 212 des Ridgeway Hotels verschafft ihm eine erste Atempause auf dem neuen Kontinent, und in ohnmächtiger Empörung reißt er sich die Kleider vom Leib und legt sich nackt ins Bett.
    Von wegen Weltenbummler, denkt er. Von dem ist nichts übriggeblieben als ein verschüchterter Angsthase.
    Es klopft an der Tür und er springt aus dem Bett, als hätte er etwas Verbotenes getan. Er hüllt sich in den Bettüberwurf und öffnet die Zimmertür.
    Eine ausgezehrte alte Afrikanerin in einem Putzkittel erkundigt sich, ob er schmutzige Wäsche habe. Er schüttelt den Kopf, antwortet übertrieben höflich und weiß nicht, welches Verhalten eine Afrikanerin von ihm erwartet.
    Nachdem er die Vorhänge zugezogen hat, legt er sich wieder ins Bett. Die Klimaanlage röchelt, und er muß niesen.
    Die nassen Strümpfe aus Schweden, denkt er. Die Nässe, die ich mitgebracht habe. Ich bestehe aus einer Kette von Schwächen, denkt er resigniert. Mein Erbe ist die Furcht. Aus dem Schneegestöber ist eine Gestalt aufgetaucht, die ständig Gefahr läuft, die innere Orientierung zu verlieren.
    Damit seine Mutlosigkeit trotzdem nicht überhandnimmt, wird er aktiv, hebt den Telefonhörer ab und ruft den Zimmerservice an. Eine nuschelnde Stimme meldet sich, als er schon wieder auflegen will. Er bestellt Tee und Hähnchensandwiches. Die murmelnde Stimme wiederholt seine Angaben und teilt ihm mit, die Bestellung werde unverzüglich auf sein Zimmer gebracht.
    Nach fast zwei Stunden steht ein Hoteldiener mit einem Tablett vor der Tür. Während dieser zwei Stunden war er nicht in der Lage, etwas anderes zu tun als zu warten. Er erfährt, was es heißt,
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