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Das Auge des Basilisken

Das Auge des Basilisken

Titel: Das Auge des Basilisken
Autoren: Kingsley Amis
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war. Die allgemeine Ungläubigkeit erwuchs nicht aus irgendeiner inhärenten Widersprüchlichkeit in der Geschichte von den zwei maskierten Revolverhelden, die nach ihrem Mordanschlag zunächst entkommen waren, später aber an einem anderen Ort hatten überwältigt werden können; solche Mordanschläge kamen vor und waren nicht eigentlich etwas Ungewöhnliches. Sie folgte vielmehr aus der Einsicht, daß die Idee, Alexander habe eine halbe Stunde seiner Freizeit, geschweige denn sein Leben, dem Heimatland oder seinem Vater gewidmet, nicht der Wahrheit entsprechen konnte. Solche skeptischen Zuhörer wurden durch die Rede des Obersten nicht klüger, und es stand zu erwarten, daß sie in ihrem Zustand der Unwissenheit würden ausharren müssen. Die anderen, die wenigen wie Lomow, welche den wahren Hergang des Geschehens kannten, hatten Tabidzes eröffnenden Bemerkungen mit geringerer Neugierde gelauscht und allenfalls eine gewisse innere Erheiterung über die Geschicklichkeit seiner übertreibenden Verdrehungen verspürt. Ein Mitglied dieser Gruppe, Brevda, war zu solch distanzierter Betrachtung nicht fähig. Nach dem ersten Schock war er in einen Zustand gedämpfter Panik zurückgesunken, die jeden Augenblick zum offenen Ausbruch kommen konnte. Man hatte ihn noch nicht dafür zur Rechenschaft gezogen, daß er bis zum rettenden Eingreifen Lomows nichts für die Sicherheit Sergej Petrowskys getan hatte, der beinahe vor seiner Nase getötet worden wäre, aber es ließ sich nicht mehr lange aufschieben. Wahrscheinlich wartete der Chef nur noch die Beerdigung ab; dann würde die gefürchtete Vorladung kommen. Für Alexander hatte Brevda keinen Gedanken, es sei denn in der abstrakten Form als Ursache allen Übels.
    Tabidze näherte sich dem Ende seiner Ansprache. Er hatte mit charakteristischer Gewissenhaftigkeit daran gearbeitet, jeden erwähnt, der dies verdiente, nach Möglichkeit glatte Lügen vermieden, wenn er über Leben und Wirken des Dahingeschiedenen sprach, seine Tugenden ohne allzu derbe Übertreibung aufgezählt, oder jedenfalls ohne regelrechte Erfindung. Und weil diese Dinge mit Anstand und Würde vonstatten gehen mußten und der Umgang mit Notizzetteln am offenen Grab dieser gebotenen Würde Abbruch getan hätte, hatte er die ganze Ansprache auswendig gelernt und geübt.
    Seine wahre Meinung über Alexander behielt er für sich. Sie begann mit der Beobachtung, daß der junge Idiot versucht hatte, zuviel auf einmal zu sein. Ein Beispiel dafür war seine soldatische Haltung: von einem Augenblick zum nächsten wußte man nie, ob er sich als ein nachlässiger Liberaler oder als ein strenger Zuchtmeister gebärden würde, als ein Techniker oder ein Kavallerist, als ein auf Vorschriften pochender Pedant oder als ein Improvisator, als ein Dandy oder als ein seiner Sache ergebener Berufsoffizier. Zählte man dazu sein Geschlechtsleben, sein gesellschaftliches Leben … Und dann diese letzte, tödliche Verrücktheit. Im ganzen gesehen war er für das Regiment eine Belastung gewesen, eher auffallend als brillant, und zu rasch gelangweilt, um verläßlich zu sein. Ohne ihn würde das Leben bequemer und nicht nennenswert eintöniger sein.
    »Also hat der Tod Alexander Petrowsky in der Blüte seiner Jahre aus unserer Mitte gerissen«, sagte Tabidze abschließend. »Jeder, der ihn kannte, trauert in der bitteren Erkenntnis, daß er oder sie ihn niemals wiedersehen wird. Das ist alles.«
    Er salutierte abermals. Sein Trompeter, der gelegentlich daneben blies, ließ das kärglich-sentimentale Signal ertönen, das als ›Licht aus!‹ diente. Die Ehrenwache stand auf die Gewehre gestützt und neigte die Köpfe. Die Salutschützen feuerten ihre altmodischen Karabiner über dem Grab in die Luft, und die englischen Totengräber machten sich daran, den Aushub wieder hineinzuschaufeln.
    Auf der anderen Seite stand die kleine, schwarzgekleidete Gestalt Elizabeth Cuys in der ersten Reihe der Trauergäste. Sie gehörte zu den paar Dutzend Mitverschwörern, die so wenig oder gar nichts zur Sache beigetragen hatten, daß man sie nach dem Verhör freigelassen hatte. Sie weinte bitterlich und dachte dabei an sich selbst als das Mädchen, das von einer hoffnungslosen Leidenschaft für einen jungen Mann ergriffen gewesen war, einen jungen Mann, der nicht mehr lebte. Wenn sie an Alexander dachte, dann an jemand, der sie mit einiger Unfreundlichkeit und wenig Aufmerksamkeit behandelt hatte, und vielleicht waren einige ihrer Tränen diejenigen
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