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Das Auge der Fatima

Das Auge der Fatima

Titel: Das Auge der Fatima
Autoren: Franziska Wulf
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tut. Der alte Mann liegt im Sterben. Vielleicht ist er sogar in diesem Augenblick schon tot. Und abgesehen von ihm und uns beiden weiß niemand, wo sich die restlichen Steine der Fatima befinden.«
    »Du willst also wirklich ...«
    »Ja.« Ali schluckte, und für einen Augenblick sah es so aus, als würde er die Beherrschung verlieren. Und sich vielleicht doch anders entscheiden. Für sie. Für eine gemeinsame Zukunft. »Ich gestehe, dass es mir genauso wenig gefällt wie dir, aber es ist die einzige Möglichkeit. Ich muss es tun.«
    Beatrice schlang ihre Arme um seinen Hals. Sie konnte und wollte es einfach nicht glauben, dass dies wirklich das Ende sein sollte, dass sie Ali verlassen sollte, wieder nach Hause gehen sollte ohne ihn. Das war brutal, unverantwortlich.
    »Kommst du nach, sobald du den Stein gefunden hast?«, fragte Beatrice. Doch sie wusste, dass sie sich diese Frage hätte schenken können. Es war die Frage eines kleinen Mädchens nach dem Weihnachtsmann, dem Sandmann und den Wichtein.
    »Ich liebe dich, Beatrice«, sagte Ali mit heiserer Stimme. Er war in diesem Augenblick offensichtlich stärker als sie. Und klüger. Er gab keine Versprechen, die niemand einhalten konnte. »Und ich werde dich immer lieben.« Er küsste sie sanft und zärtlich und umfasste ihr Gesicht. »Versprich mir glücklich zu werden, wenn du wieder in deiner Welt bist. Ich meine ...« Er schluckte erneut. Es klang, als ob er an einem Stück Fleisch würgen würde, so schwer fiel es ihm, weiterzusprechen. »Du musst mir dein Wort geben, dass du nicht allein bleibst um meinetwillen. Du musst auch an Michelle denken. Sie braucht einen Vater. Natürlich nicht den erstbesten, der dir über den Weg läuft. Du solltest dir schon mit der Wahl Zeit lassen. Es gibt so viele unanständige, verantwortungslose Männer ...«
    »Ja, Ali«, erwiderte Beatrice heftig. Noch wollte sie sich nicht geschlagen geben, noch wollte sie kämpfen. Die Lage war zwar aussichtslos, es stand sieben zu null gegen sie, und das Spiel würde jeden Augenblick abgepfiffen werden, aber sie wollte nicht kampflos untergehen. Und vielleicht geschah ja doch noch ein Wunder. »Und deshalb brauchen wir dich. Ich liebe dich. Du bist Michelles Vater, und deshalb ...«
    »Nein, Beatrice. Mein Platz ist hier. Und das weißt du.« Er streichelte zärtlich ihr Gesicht. »Geh. Wir müssen uns beeilen. Bis zum Sonnenuntergang haben wir nicht mehr viel Zeit.«
    »Ali, ich ...«
    »Geh. Es ist besser, wenn wir uns hier und jetzt verabschieden, glaube mir. Je länger es dauert ...« Seine Stimme brach, und er drückte sie an sich.
    »Gut, Ali, ich werde mein Versprechen halten«, sagte Beatrice nach einer Weile. »Aber nur unter einer Bedingung. Du musst mir schwören, das Gleiche zu tun. Suche dir eine Frau, heirate sie und werde glücklich mit ihr.«
    Er schloss für einen kurzen Moment die Augen, dann nickte er.
    »Gut«, sagte er schließlich. »Ich verspreche es dir, auch wenn es mir schwer fällt.«
    Sie küssten sich noch einmal. Dann stand Beatrice auf, nahm den Kasten mit den sechs Saphiren an sich und verließ das Schlafgemach, ohne sich umzudrehen.
    Mustafa lief hinter Meister Osman her. Obwohl die Sonne erst vor kurzem untergegangen war, war es schon ziemlich dunkel. Wolken verdeckten den Himmel, und es sah aus, als würde es in der Nacht anfangen zu regnen - eine Seltenheit zu dieser Jahreszeit. Mustafa hatte Meister Osman bisher nur bei der Ausbildung in Alamut zugesehen und ihn immer wegen seiner Geschicklichkeit bewundert. Doch nie zuvor hatte er ihn bei der Ausführung eines Auftrags beobachten dürfen - und er war stumm vor Staunen. Er konnte den Meister kaum sehen. In seiner dunkelgrauen Kleidung verschmolz er fast mit der Nacht und den Dächern, war kaum mehr als ein huschender Schatten, lautlos und nur für geübte Augen sichtbar. Geschickt wie eine Katze sprang er über Abgründe, kletterte lautlos und geschmeidig die steilsten Dächer empor oder ließ sich an einem Seil eine Wand hinab wie eine Spinne an ihrem Faden. Mustafa hatte erhebliche Mühe, ihn nicht aus den Augen zu verlieren und ihm schnell genug zu folgen. Er dachte daran, dass seine Ausbildung noch nicht beendet war, dass er noch viel lernen musste, um eines Tages ebenso geschickt zu sein wie Meister Osman.
    Und dann fiel ihm ein, dass er seine Ausbildung gar nicht mehr beenden würde, dass er, wenn die Sonne wieder aufging, kein Fidawi mehr war, selbst wenn Allah gnädig sein und Meister Osman
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