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Das Auge der Fatima

Das Auge der Fatima

Titel: Das Auge der Fatima
Autoren: Franziska Wulf
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Blick in die Umgebung sagte ihm, dass alles in Ordnung war. Die Welt stand still, so wie es sich gehörte. Nur das Auge aus Sternen über ihm am Himmel drehte sich um sich selbst - schneller und immer schneller. Die Sterne waren keine einzelnen Punkte mehr. Sie verschmolzen miteinander zu Linien und Kreisen aus Licht, sich kringelnden Schlangen gleich, nur dass diese Schlangen schneller waren als alles, was er in seinem bisherigen Leben gesehen hatte. Und dann öffnete sich mitten in den hellen Kreisen ein schwarzes Loch, ein riesiger Schlund, der alles in sich hineinzusaugen schien, was ihn umgab. Ein heftiger Wind kam auf und zerrte an Mustafas Kleidern und Haaren. Er hielt sich fest, um nicht ebenfalls hochgerissen zu werden und für immer in dem düsteren Loch zu verschwinden. Und dann war alles vorbei, ebenso plötzlich und unerwartet, wie es begonnen hatte.
    Mustafa schüttelte verwundert den Kopf. In diesem Augenblick drang Lärm zu ihm herauf - das metallische Klirren von gegeneinander prallenden Säbeln und Schwertern, dumpfe Schläge, wütende Schreie. Was war dort unten los? Hatte der Arzt den Fidawi eine Falle gestellt und Meister Osman mit einer Schar von bewaffneten Soldaten erwartet? Noch während er darüber nachdachte und sich fragte, ob er lieber auf den Meister warten oder ihm vielleicht doch folgen sollte, verstummte der Lärm. Und dann näherten sich ihm Schritte. Sie kamen die Treppe herauf.
    »Vielleicht ist der andere Fidawi noch oben auf dem Turm. Diese Kerle kommen meistens zu zweit.«
    Mustafa erstarrte. Das war nicht Meister Osmans Stimme. Und im selben Augenblick wusste er, dass der Meister tot war. Die Soldaten hatten ihn, der in der Bruderschaft als unbesiegbar galt, getötet. Und jetzt suchten sie nach ihm.
    Sie würden auch ihn töten, so viel stand fest. Und trotzdem gelang es Mustafa nicht, auch nur ein Glied zu rühren. Der Schweiß brach ihm aus allen Poren aus, und doch schaffte er es nicht, auch nur einen Schritt auf die Mauer des Turms zuzugehen. Er stand da wie gelähmt.
    Allah, hilf mir! Was soll ich tun?, flehte er, während er wie versteinert seinem drohenden Schicksal entgegensah.
    Zu spät fiel ihm ein, dass Meister Osman es leicht mit fünf Soldaten hätte aufnehmen können. Viel zu spät dachte er daran, dass lediglich eine Hand voll Menschen von der Existenz der Fidawi wussten. Wer oder was auch immer gerade die Treppe emporstieg, war also mehr als gefährlich. Es war tödlich. Und er hatte nichts, um sich zu verteidigen. Nichts außer al-Husseins Wort, dass er ihn vor dem Angriff des Meisters gewarnt hatte. Und wenn der Arzt die Stadt bereits verlassen hatte? Wenn niemand mehr hier war, der seine Stimme zu seiner Verteidigung erheben konnte? Dann war er schutzlos. Dann war dies hier sein Ende.
    Die Tür öffnete sich - langsam, vorsichtig. Und plötzlich waren zwei Männer auf der Plattform. Sie waren so schnell, dass sie Mustafa bereits gegenüberstanden, bevor er sie wirklich bemerkt hatte. Ihre scharfen, schlanken Säbel blitzten einmal kurz auf, und dann spürte er auch schon das kalte, scharfe Metall an seiner Kehle. Auf ihren entblößten Unterarmen prangte ein Symbol, ein mit dunkler Tinte in die Haut geritztes Zeichen. Es hatte die Form eines Auges. Es gab keinen Zweifel mehr, diese beiden Männer gehörten zu den »Hütern des Auges der Fatima«, den erbitterten Gegnern der Fidawi. Meister Osman hatte die Brüder immer wieder vor ihnen gewarnt. Und jetzt standen sie hier, direkt vor ihm, und die Spitzen ihrer Klingen bohrten sich in seinen Hals. Mustafa schluckte. Er war verloren.
    »Sieh mal an, ein Junge«, sagte der eine und lächelte grimmig. »Diese verfluchten Fidawi kennen keine Scheu. Selbst Kinder verseuchen sie schon mit ihren Irrlehren. Aber ...«
    »Lass gut sein. Darüber können wir zu einem anderen Zeitpunkt reden.« Der zweite Hüter wandte sich an Mustafa. »Wie ist dein Name, Sohn?«
    »Mustafa.« Seine Stimme war kaum zu hören, und er zitterte jetzt wie ein Kaninchen vor der Schlange.
    »Mustafa?« Er nickte und steckte seinen Säbel wieder in die Scheide zurück. Doch Mustafa zweifelte keinen Augenblick daran, dass der Mann die Waffe schneller als ein Wimpernschlag wieder ziehen konnte. Meister Osman hätte es gekonnt. Und diese beiden waren besser als er, sonst hätten sie ihn niemals töten können. »Wir haben nicht die Absicht, dich zu töten oder dir ein Leid zuzufügen. Ali al-Hussein hat uns von dir erzählt. Wir wissen, dass du
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