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Das Amt und die Vergangenheit - Conze, E: Amt und die Vergangenheit

Titel: Das Amt und die Vergangenheit - Conze, E: Amt und die Vergangenheit
Autoren: Moshe Peter;Zimmermann Norbert;Hayes Eckart;Frei Conze
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Dienst der Nachkriegszeit zu bahnen. Denn dass es früher oder später wieder einen deutschen Auswärtigen Dienst geben würde, darüber war man sich einig. Wilhelm Melchers, vor 1945 Leiter des Orientreferats im AA und seit Ende 1949 im entstehenden Außenamt der Bundesrepublik für Personalfragen
zuständig, lieferte in einer Aufzeichnung über den 20. Juli 1944 im Auswärtigen Amt die zentralen Elemente des NS-bezogenen Selbstbilds des Auswärtigen Amtes und seiner höheren Diplomaten. Als Kronzeuge diente dabei der nach dem 20. Juli hingerichtete Adam von Trott zu Solz, von dem Melchers unmittelbar vor dem missglückten Attentat auf Hitler gehört haben will, die alte Beamtenschaft habe sich den »Nazifizierungsversuchen« Ribbentrops entzogen und könne daher nach einem erfolgreichen Coup übernommen werden. Der Kern des Amtes, so angeblich Trott, sei »gesund«.
    Doch wie verhielten sich die Angehörigen des Auswärtigen Amtes nach der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 tatsächlich? Welche Rolle spielte der Auswärtige Dienst im nationalsozialistischen Herrschaftssystem und Terrorapparat? Wie war das Auswärtige Amt an der deutschen Herrschaft über weite Teile Europas im Zweiten Weltkrieg beteiligt? Welchen Anteil hatten deutsche Diplomaten seit 1933 an der Verfolgung und Ermordung der deutschen und europäischen Juden? Diese Fragen leiten die Darstellung im ersten Teil des vorliegenden Buches.
    Von wenigen Ausnahmen abgesehen, führten die deutschen Diplomaten auch im Übergang von der Weimarer Republik zum Dritten Reich ihre Tätigkeit bruchlos fort. Die Motive dafür waren vielgestaltig. Sie reichten von einer patriotisch bestimmten Mentalität des Dienstes - »Man lässt sein Land nicht im Stich, weil es eine schlechte Regierung hat« - über Hoffnungen auf einen autoritär gestützten machtpolitischen Wiederaufstieg Deutschlands bis hin zur Übereinstimmung mit den Prämissen der nationalsozialistischen Politik: von der Demokratiefeindschaft bis zum Antisemitismus. Es gab eine weitreichende Teilidentität der Ziele; sie hilft, das Weiterfunktionieren gerade der Spitzendiplomaten zu erklären. Deswegen schirmten deutsche Diplomaten die systematische und gewaltsame Entrechtungs- und Diskriminierungspolitik des Dritten Reiches gegenüber den Juden nicht nur nach außen ab, sondern sie waren von 1933 an aktiv an ihr beteiligt.
    Seit dem 30. Januar 1933 war das Auswärtige Amt das Auswärtige Amt des Dritten Reiches, und als solches funktionierte es bis 1945. Es gestaltete zentrale Politikbereiche und verkörperte in diesem Sinne das Dritte Reich nicht nur im Ausland. Das Amt repräsentierte, dachte und handelte im Namen des Regimes. Der diplomatische Apparat, den die Nationalsozialisten 1933 übernahmen, war routiniert und erfahren, die deutsche
Diplomatie war hoch professionalisiert. Auch deshalb wurde sie zu einer wichtigen Stütze der nationalsozialistischen Herrschaft. Zugleich jedoch wähnten sich viele Diplomaten angesichts der Ansprüche rivalisierender Institutionen - von der NSDAP-Auslandsorganisation bis zur »Dienststelle Ribbentrop« - mit einem schleichenden Funktionsverlust konfrontiert. Dagegen setzte sich das Amt zur Wehr, indem es wieder und wieder seine eigene Unentbehrlichkeit zu demonstrieren versuchte und dabei auch seine Handlungsfelder beträchtlich erweiterte. Nicht erst in den Kriegsjahren kooperierte das Amt mit der Gestapo: Die deutschen Auslandsmissionen wirkten mit an der Erfassung und Überwachung von Emigranten; bei der Ausbürgerung von Deutschen - Albert Einstein, Thomas Mann, Willy Brandt und vielen anderen - spielte die Zentrale in Berlin ebenso eine aktive Rolle wie beim Raub des Vermögens der Ausgebürgerten, darunter vieler Juden.
    Ziel unserer Darstellung musste es sein, sowohl individuelles Verhalten zu erklären als auch die strukturellen Rahmenbedingungen und ihre Dynamik zu berücksichtigen. Die Herausforderung liegt dabei in der Verknüpfung beider Ebenen. Welche individuellen Überzeugungen oder Dispositionen waren notwendig, um für den einzelnen Diplomaten die Politik und die Verbrechen des Dritten Reiches akzeptabel zu machen, sie geschehen zu lassen, sie in vielen Fällen aber auch aktiv mitzugestalten, ja zu forcieren? Und wie wirkten umgekehrt strukturelle Entwicklungen - die institutionelle Konkurrenz, die Dynamik des militärischen Erfolges oder die Handlungszwänge in einer Diktatur - auf das Verhalten Einzelner ein? Solche Fragen
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