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Das Amt und die Vergangenheit - Conze, E: Amt und die Vergangenheit

Titel: Das Amt und die Vergangenheit - Conze, E: Amt und die Vergangenheit
Autoren: Moshe Peter;Zimmermann Norbert;Hayes Eckart;Frei Conze
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unterstreichen, dass es diesem Buch nicht, wie gelegentlich gemutmaßt wurde, um eine »zweite Entnazifizierung« geht, sondern um die allerdings eminente Frage, warum und in welcher Weise das Auswärtige Amt und seine Angehörigen an der nationalsozialistischen Gewaltpolitik und an den nationalsozialistischen Verbrechen beteiligt gewesen sind. Die Antwort auf diese Frage erschöpft sich indes nicht im Verweis auf institutionelle Bedingungen und strukturelle Faktoren, sondern sie muss zwingend auch individuelles Verhalten, individuelle Handlungsspielräume und Handlungsmöglichkeiten mit in den Blick nehmen.
    Für die »neue« Diplomatie des Auswärtigen Amtes, wie sie sich sukzessive in den Jahren nach 1933 herausbildete - keineswegs nur durch den Wechsel von Neurath zu Ribbentrop im Amt des Außenministers
1938 -, standen nicht nur neue Diplomaten, sondern auch sehr viele alte. Gerade auf der Führungsebene war das Ausmaß der Personalveränderungen, die Ribbentrop nach seiner Amtsübernahme vornahm, denkbar gering. Stattdessen kam es 1937 und 1940 bei den deutschen Spitzendiplomaten zu regelrechten Eintrittswellen in die NSDAP. Zugleich - und nicht nur mit Blick auf das Auswärtige Amt - lösten sich seit den späten dreißiger Jahren zunehmend die Grenzen zwischen allgemeiner Verwaltung, Parteistellen und dem von der SS kontrollierten Sicherheitsapparat auf. Auch wenn sich keine integrierte »SS-Weltanschauungsbürokratie« (Michael Wildt) herausbildete, so waren doch die in den Kriegsjahren zunehmende Kompetenzverflechtung und Instanzenrivalität eine entscheidende Voraussetzung für die sich unter Beteiligung auch des Auswärtigen Amtes radikalisierende Dynamik der Judenvernichtung und ihren Vollzug.
    Im Oktober 1941 entsandte das Auswärtige Amt seinen »Judenreferenten« Franz Rademacher - den Mann, der ein Jahr zuvor maßgeblich an den Planungen beteiligt gewesen war, alle europäischen Juden nach Madagaskar zu vertreiben, nach Belgrad, um dort mit Vertretern anderer deutscher Behörden, darunter dem Reichssicherheitshauptamt, die Behandlung der serbischen Juden zu koordinieren. Worum es ging, verrät nicht ein Geheimdokument, sondern die Reisekostenabrechnung, die Rademacher nach seiner Rückkehr in Berlin einreichte. Jeder Buchhalter in der Reisekostenstelle des AA konnte es lesen: Reisezweck war die »Liquidation von Juden in Belgrad«.
    Von Anfang an war das Auswärtige Amt über die deutschen Verbrechen in dem 1939 begonnenen Eroberungs- und Vernichtungskrieg umfassend informiert. Diplomatische Beobachter dokumentierten die verbrecherischen Methoden der deutschen Kriegführung ebenso wie die brutale Besatzungsherrschaft. Ein enger Informationsaustausch mit dem Reichssicherheitshauptamt, der Zentrale von Terror und Völkermord, versorgte das Amt auch mit Kenntnissen über die »Endlösung« der Judenfrage, die Deportation und Vernichtung von sechs Millionen europäischen Juden. Mit Unterstaatssekretär Martin Luther war das Amt im Januar 1942 bei der Wannsee-Konferenz vertreten, die das Schicksal der Juden in Europa besiegelte und ihre Vernichtung koordinierte. Das einzige Exemplar des Protokolls dieser Konferenz fand sich nach 1945 in den Akten des Auswärtigen Amtes.

    Die Mitwisser im Amt waren auch Mittäter. Nicht nur beschäftigten sich eigene Abteilungen im AA mit der Organisation moderner Sklavenarbeit und mit Kunstraub. Die deutsche auswärtige Politik machte sich die »Lösung der Judenfrage« in Deutschland, dann die »Endlösung«, zu ihrer Aufgabe, die Mitwirkung daran wurde zu einem Tätigkeitsfeld deutscher Diplomaten überall in Europa. In vielen Fällen waren Angehörige des Auswärtigen Dienstes - und nicht nur Seiteneinsteiger aus der Zeit nach 1933 - an der Deportation von Juden unmittelbar beteiligt, mitunter ergriffen sie sogar die Initiative. Je größer der Herrschaftsbereich des Dritten Reiches wurde, desto mehr war auch das Auswärtige Amt mit der Politik der »Endlösung« befasst. Neue, ja präzedenzlose Aufgabenfelder, der überkommenen Außenpolitik und Diplomatie ganz fremd, wuchsen den deutschen Diplomaten zu: Plünderung, Raub, Verfolgung und Massenmord. Zugleich umgab das Amt sein Handeln mit dem Schein bürokratischer Kontinuität, Professionalität und damit Legitimität - und trug so dazu bei, moralische Bedenken angesichts ungeheurer Verbrechen zu relativieren. Einzelne Fälle von Kritik können darüber nicht hinwegtäuschen.
    Grundlegende Debatten über den
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