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Das 2. Gesicht

Das 2. Gesicht

Titel: Das 2. Gesicht
Autoren: Nika Lubitsch
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ihm gehe, antwortete er mit einem knappen: „Okay. Können wir?“
    Ich hatte die S-Klasse über Nacht im Parkhaus des Hotels gelassen, so dass wir jetzt sofort losfahren konnten. Diesmal setzte sich J.R. neben mich, während sich George auf den Rücksitz legte. Es ging ihm wirklich nicht gut. Oder war er einfach nur müde?
    Ich fragte Jay, ob der Geschäftsführer der Buchhandlung gestern Abend noch sehr sauer gewesen wäre, weil wir so schnell verschwunden waren.
    „Vergiss diese Schwachköpfe, die wollen sich nur mit uns schmücken.“
    Ich schluckte herunter, dass es genau diese Schwachköpfe waren, die Ostermans Bücher verkauften. Es war nicht mein Job, ihn zu belehren. Natürlich hatte er mehr Geschäftsführer von Buchhandlungen weltweit kennengelernt als ich. Gern hätte ich ihn gefragt, was sie gestern Abend noch gemacht hatten, aber ich traute mich nicht.
    Auf der Autobahn konnte ich dann endlich Gas geben. Jay war begeistert.
    „Wow, ich liebe deutsche Autobahnen. Komm, fahr mal auf den nächsten Parkplatz und lass mich fahren“, sagte er.
    Ich schüttelte den Kopf.
    „Sorry“, sagte ich, „aber ich darf das nicht, ich habe für das Auto unterschrieben.“
    „Lass ihn fahren“, sagte George von der Rückbank. „Wenn du brav bist, kriegst du von mir so ein Auto zum Geburtstag.“
    Ich hatte den Rüffel wohl verstanden. Natürlich, wenn etwas passierte, dann wäre es für George oder Jay kein Problem, das Auto aus der Portokasse zu bezahlen. Für mich war es ein Problem. Ich fuhr auf den nächsten Parkplatz.
    Jay musste in seinem früheren Leben wohl Autorennen gefahren sein. Er bretterte über die Autobahn, als ob es darum ging, die Championship zu gewinnen. Während mir fast schlecht vor Angst war, kamen vom Rücksitz nur leise Schnarchgeräusche. Ich hatte das Radio angestellt, weil ich hören wollte, ob sie etwas über den Osterman-Besuch in Berlin brachten. Aber außer dem Besuch des französischen Ministerpräsidenten und der Leiche einer Prostituierten, die man am Morgen im Tiergarten gefunden hatte, gab es keine Nachrichten aus Berlin.
    Als wir endlich in Leipzig im Steigenberger Hotel eincheckten, war es bereits mittags. Wir nahmen einen kleinen Imbiss im Hotelrestaurant ein und fuhren dann sofort ins mdr-Studio, da dort eine Vorbesprechung auch mit dem Dolmetscher und den Moderatoren stattfinden sollte. Jay fand es absolut unnötig und sah überhaupt nicht ein, warum man George so quälen musste.
    Ich hatte bereits von Kollegen gehört, dass Amerikaner und deutsche TV-Studios nicht so recht kompatibel waren, jedenfalls drifteten die Vorstellungen, was vorbereitet werden sollte, erheblich auseinander. Ich bekam im Hotel kaum einen Bissen vor Aufregung runter. Natürlich wussten die beiden nicht, dass dies mein erster Besuch in einem Fernsehstudio war.
    Während ich vor dem Studio auf George wartete, der sich in der Maske befand, las ich die Zeitungen und schaute nebenbei mit einem halben Auge auf einem Monitor das aktuelle Fernseh-Programm an. Die Medien berichteten wohlwollend über George Osterman, der, obwohl er krank sei, seine Fans in Berlin nicht enttäuscht habe.

„Dead End – Ohne Ausweg“ von George Osterman
    Nach diesem allerersten Mal war er kurz davor gewesen, sich selbst aufzuschneiden, sich zu entsorgen, das schlechte Blut ausfließen zu lassen, bis nichts mehr davon vorhanden war.
    So groß war seine Sehnsucht nach Blut, so unstillbar sein Bedürfnis, das pulsierende Strömen zu sehen und zu fühlen, wie das Blut über seine Hände floss, warm, wohlig, wie es Geborgenheit vermittelte, so, als ob man nach langer, langer Zeit nach Hause kam. Später, hatte er damals gedacht, später, wenn es gar nicht mehr anders geht.
    Da war diese streunende Hündin gewesen, die er morgens, wenn er am Strand spazieren ging, beobachtete. Sie war auch eine Schlampe, sie ließ jeden Köter ran, der sich ihr näherte. Eine räudige Hündin mit einem halb abgebissenen Ohr und einem Stummelschwanz, nacktbraun, mit kurzem, struppigem Fell, das nicht mal in der aufgehenden Morgensonne glänzte. Sie war so leicht zu haben, einen Hundekuchen, mehr brauchte er nicht, um sie einzufangen. Hure, billige.
    Aber es war nicht das Gleiche wie beim ersten Mal, nicht wie bei dieser Schlampe, die es verdient hatte. Ihre dunklen Hundeaugen, die schon mehr gesehen hatten, als je ein Hund sehen sollte, schauten ihn ergeben an, als er ihr die Halsschlagader aufschnitt. Mach doch, schienen sie zu sagen, ist
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