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Das 2. Gesicht

Das 2. Gesicht

Titel: Das 2. Gesicht
Autoren: Nika Lubitsch
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auf mich herab, so wie am Morgen. Sein Gesicht war in Rot getaucht. In diesem Moment wusste ich, dass ich weg musste. So schnell und so weit weg wie möglich.
    „Gute Nacht. Ich hole euch morgen früh um zehn Uhr ab“, sagte ich schnell, drehte mich auf dem Absatz um und floh in die Nacht.
    „Julia“, rief er mir hinterher. Es hörte sich an wie ein Hilfeschrei.
    Ich rannte die „Linden“ herunter und winkte dem nächsten Taxi.
    „Viktor-Luise-Platz“, sagte ich zu dem Taxifahrer, als ich mich auf die Rückbank fallen ließ. Hektisch zuppelte ich mein Handy aus der Handtasche und drückte die Notfalltaste 2. Jetzt konnte nur noch Sandra helfen.
    „Okay“, schlug sie vor, „wir treffen uns in einer halben Stunde bei dir.“ Gute, liebe Sandra. In meiner kleinen Wohnung in Schöneberg hatte ich bereits meinen Koffer für die Tour gepackt, die am nächsten Tag beginnen sollte. Wir kamen fast gleichzeitig an, Sandra und ich.
    „Erzähle“, forderte sie, als sie sich in meine Couch fallen ließ.
    „Ich stehe total neben mir“, sagte ich und versuchte, eine Flasche Weißwein zu öffnen.
    „Das sehe ich.“ Sie grinste und nahm mir den Korkenzieher aus der Hand.
    Natürlich hatte ich Sandra schon Wochen vor diesem Tag ein Ohr abgekaut mit der Lesereise.
    „Er hat mich umgehauen“, gab ich zu.
    „Was zu erwarten war.“ Sandra teilte meine Vorliebe für Thriller nicht.
    „Nein, nicht so, wie du denkst“, sagte ich.
    „Wie denke ich denn?“, fragte Sandra.
    „Na, eben nicht so. Anders. Ich bin total hin.“
    „Und, hat er versucht, dich abzuschleppen?“, fragte sie.
    „Ja. Nein. Ich weiß nicht. Ich bin einfach abgehauen, verstehst du?“
    „Nee, verstehe ich nicht“, sagte meine Freundin. Wie sollte sie auch, ich verstand mich ja selbst nicht.
    „Ich hatte plötzlich das Gefühl, dass von diesem Mann eine Gefahr ausgeht. Dass ich mich in Sicherheit bringen muss. Ach, ich weiß auch nicht.“
    „Zu spät, Liebling, du hast dich total verknallt.“
    „Was soll ich nur tun? Ich bin noch tagelang mit ihm und seinem Monster J.R. unterwegs.“
    „Wie ist er denn so? Nein, sag jetzt nicht, dass er total süß ist, sonst stehe ich sofort auf und gehe.“
    „Er ist ganz und gar nicht süß. Er ist … Sandra, ich will diesen Mann.“
    „Deshalb bist du weggerannt?“
    „Ja. Nein. Ich habe Angst.“
    „Angst vor Ablehnung? Na klar, der große Weltstar hat natürlich seit vierzig Jahren auf Klein Julia aus Berlin-Schöneberg gewartet.“
    „Ich weiß“, gab ich kleinlaut zu. „Ich bin keine Hollywood-Schönheit mit langen Beinen, Walle-Walle-Mähne, Wespentaille und D-Körbchen. Er kann alle haben. Alle.“
    „Nun übertreib mal nicht, mein Typ ist er nicht. Aber vielleicht steht er ja auf etwas streng aussehende Mädchen.“
    „So schlimm?“, fragte ich.
    „Entschuldige, aber du hast dir heute wirklich alle Mühe gegeben, deine weiblichen Reize zu kaschieren.“
    „Ich habe einen Job zu machen“, verteidigte ich mich. Aber ich wusste, dass Sandra wieder mal Recht hatte.
    „Du musst dich entscheiden, entweder den Job professionell machen oder den Kerl anmachen, beides geht nicht.“
    „Deshalb bin ich weggelaufen“, sagte ich. Obwohl es nur die halbe Wahrheit war.
    „Zieh dein Ding durch, so wie du es dir vorgenommen hast. Es sei denn, du willst dich unglücklich machen.“
    „Ach, Sandra“, seufzte ich.
    Ich hätte auf sie hören sollen.

Leipzig
    Pünktlich um zehn Uhr saß ich in der Hotelhalle vom Adlon und wartete auf George und Jay. Die Nacht war grauenvoll gewesen. Ich hatte nicht eine einzige Sekunde geschlafen, da hatte auch die halbe Flasche Wein, die ich mit Sandra geleert hatte, nicht geholfen. Mir war, als ob seine Augen mich aus der Dunkelheit heraus angeschaut hätten, als ob er am Rand meines Bettes gestanden hätte. Ich hatte mich von rechts nach links gewälzt.
    In meinem Magen hatte sich ein ganzer Bienenschwarm eingenistet und ich sah wahrscheinlich ein wenig aufgelöst aus. Jedenfalls fühlte ich mich so, trotz kalter Dusche und tonnenweise Concealer unter den Augen.
    Jay kam als Erster zu mir. Er verströmte jene Art von guter Laune, wie nur aufgedrehte Amerikaner sie ausstrahlen können. Als George aus dem Fahrstuhl stieg, bekam ich einen Schreck. Er sah noch grauer und kränker aus als am Tag zuvor. Er hatte offensichtlich genauso schlecht geschlafen wie ich.
    Im Gegensatz zu Jay hielt sich Osterman nicht lange mit Höflichkeiten auf. Auf meine Frage, wie es
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