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Das 2. Buch Des Blutes - 2

Das 2. Buch Des Blutes - 2

Titel: Das 2. Buch Des Blutes - 2
Autoren: Clive Barker
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schwarzer, mit einer schwarzen Plastiktüte ausgeschlagener Plastikeimer war unter den Leichnam gestellt worden, um das ständig aus den Wunden strömende Blut aufzufangen.
    In diesem Zustand, entblößt, rasiert, aufgehängt und praktisch kreidebleich ausgeblutet, hatte man den Körper von Loretta Dyer gefunden.
    Es war ekelerregend, es war sauberste Arbeit, und es verwirrte zutiefst.
    Keine Vergewaltigung hatte stattgefunden, und nichts ließ auf eine Schinderei schließen. Die Frau war schnell und zweckdienlich wie ein Schlachtvieh zu Tode gebracht worden. Und noch immer lief der Schlächter frei herum.
    Die Stadtväter hatten, weise wie sie waren, eine vollständige Nachrichtensperre über das Gemetzel verordnet. Es hieß, daß der Mann, der den Körper gefunden hatte, in New Jersey in Schutzhaft sei, außer Reichweite für neugierige Journalisten.
    Aber alles Vertuschen hatte nichts gefruchtet. Ein lüsterner Cop hatte die wichtigsten Einzelheiten gegenüber einem Reporter der »Times« durchsickern lassen. Jeder in New York kannte jetzt die scheußliche Geschichte von den Abschlachtun-gen. Sie war Gesprächsthema in jedem Delikatessenladen und jeder Bar und, selbstredend, in der U-Bahn.
    Aber Loretta Dyer war nur die erste gewesen.
    Nun war man unter genau den gleichen Umständen auf jene drei weiteren Leichen gestoßen, obwohl diesmal die Arbeit offensichtlich gestört worden war. Nicht alle drei Körper waren rasiert, auch die Schlagadern waren nicht durchtrennt, um die Leichen ausbluten zu lassen. Besonders augenfällig war aber folgender Unterschied: Kein ahnungsloser Tourist war zufällig mit dem Anblick konfrontiert worden, diesmal kündete ein Bericht in der »New York Times« von der Entdeckung.
    Kaufman ging den Bericht durch, der auf der Titelseite der Zeitung abgedruckt war. Ihn interessierte die Geschichte, ganz im Unterschied zu dem Mann gleich neben ihm an der Theke des Delikatessenladens, nicht übermäßig. Er empfand lediglich ein leichtes Ekelgefühl, immerhin Grund genug, seinen Teller mit zu hart gekochten Eiern beiseite zu schieben. Das war einfach wieder ein Beleg für die morbide Verkommenheit seiner Stadt. Er konnte sich an ihrer Krankheit nicht weiden.
    Und doch - man war ja ein menschliches Wesen - ließen sich die bluttriefenden Details auf der Seite da vor ihm nicht ganz verdrängen. Der Artikel war ohne Effekthascherei geschrieben, aber die ungekünstelte Klarheit des Stils machte das Thema nur noch beängstigender. Auch er fragte sich unwillkürlich, welcher Mensch hinter den Abscheulichkeiten stecken mochte. Lief da ein Psychotiker frei herum, oder waren es mehrere, von denen jeder versuchte, das ursprüngliche Mord-muster zu kopieren? Womöglich war dies nur der Anfang des Grauens. Vielleicht folgten weitere Morde, bis sich endlich der Mörder, übermütig oder ausgebrannt, doch zu weit vorwagen und gefaßt werden würde. Bis dahin würde die Stadt, Kaufmans angebetete Stadt, in einem eigenartigen Schwebezustand zwischen Hysterie und Hingerissensein leben.
    Gleich neben Kaufman stieß ein bärtiger Mann seinen Kaffee um.
    »Scheiße!« sagte er.
    Kaufman rückte auf seinem Hocker zur Seite, um dem Kaffee auszuweichen, der von der Theke heruntertröpfelte.
    »Scheiße«, sagte der Mann nochmals.
    »Nix passiert«, sagte Kaufman.
    Mit leicht verächtlichem Gesichtsausdruck sah er den Mann an. Der ungeschickte Kerl machte jetzt Anstalten, den Kaffee mit einer Serviette aufzusaugen, die bei diesem Versuch zu Pampe wurde.
    Unwillkürlich fragte sich Kaufman, ob dieser Tölpel mit rosigen Backen und ungepflegtem Bart fähig wäre, einen Mord zu begehen. Gab’s irgendein Zeichen in diesem vollgefressenen Gesicht, irgendeinen Hinweis in der Form seines Kopfes oder der Bewegung seiner kleinen Augen, die sein wahres Wesen verraten hätten?
    Jetzt sagte er was.
    »Mög’n Sie ‘n neuen?«
    Kaufman schüttelte den Kopf.
    »Kaffee, ‘n einfachen. Schwarz«, sagte der Blödmann zu dem Mädchen hinter der Theke, das gerade das kalte Fett aus dem Grill kratzte. Sie schaute auf.
    »Hm?«
    »Kaffee. Wohl schwerhörig?« Der Mann grinste Kaufman an.
    »Schwerhörig«, sagte er.
    Kaufman bemerkte, daß ihm im Unterkiefer drei Zähne fehlten.
    »Sieht bös aus, eh?« sagte der Mann.
    Was meinte er damit? Den vergossenen Kaffee? Seine Zahn-lücken?
    »Drei Leute, aufgeschlitzt. Einfach so.«
    Kaufman nickte.
    »Gibt einem zu denken«, sagte der andere.
    »Logisch.«
    »Schätze, da wird alles
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