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Das 2. Buch Des Blutes - 2

Das 2. Buch Des Blutes - 2

Titel: Das 2. Buch Des Blutes - 2
Autoren: Clive Barker
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Hebe dich.«
    Liebe? Nie und nimmer.
    Allenfalls war’s blinde Betörung gewesen.
    Und jetzt, nach nur dreimonatigem Zusammenleben mit dem Gegenstand seiner Anbetung, nachdem er seine Tage und Nächte in ihrer Gegenwart zugebracht hatte, hatte die Stadt den Schmelz ihrer Vollkommenheit eingebüßt.
    New York war eine Stadt wie jede andere.
    Er hatte sie erwachen sehen, morgens, wie eine Schlampe, die sich die Ermordeten aus den Zwischenräumen ihrer Zähne und die Selbstmörder aus den Strähnen ihrer Haare pult. Er hatte sie spät nachts gesehen, wenn ihre schmutzigen abgelegenen Straßen schamlos dem Laster huldigten. Er hatte sie am heißen Nachmittag beobachtet, trag und widerwärtig, ungerührt von den Greuelszenen, die sich zu jeder Stunde im Würgestau ihrer Passagen abspielten.
    Sie war keine Hochburg der Wonnen.
    Tod brachte sie hervor, nicht Lust.
    Jeder, mit dem er zu tun hatte, war irgendwie mit Gewalt in Berührung gekommen; das gehörte hier einfach zum Leben. Es war fast schon schick, jemand gekannt zu haben, der eines gewaltsamen Todes gestorben war. Das war wie ein Beweis dafür, daß man in dieser Stadt lebte.
    Aber Kaufman hatte New York fast zwanzig Jahre lang aus der Ferne geliebt. Seit er erwachsen war, hatte er nahezu ausschließlich auf die Verwirklichung seiner Liebesbeziehung hin-gearbeitet. Es war demnach nicht einfach, diese Leidenschaft abzuschütteln, als ob er sie nie tief empfunden hatte. Noch gab es Stunden, ganz früh vor dem Einsetzen der Polizeisirenen oder bei Anbruch der Dämmerung, in denen Manhattan immer noch ein Wunder war.
    Wegen dieser Augenblicke und seinen Träumen zuliebe legte er noch immer den vorhandenen Zweifel zu ihren Gunsten aus, selbst dann, wenn ihre Manieren alles andere als damenhaft waren.
    Sie machte einem diese verzeihende Nachsicht nicht leicht.
    Während der wenigen Monate, seit Kaufman in New York lebte, waren ihre Straßen vom Blutvergießen geradezu überschwemmt worden.
    Genaugenommen waren es nicht so sehr die Straßen selbst, sondern die Tunnelstrecken unter diesen Straßen.
    »Schlachthaus U-Bahn« lautete das Schlagwort des Monats.
    Allein in der vorigen Woche war über drei Metzeleien berichtet worden. Man hatte die Leichen in einem der U-Bahn-Waggons der Linie Avenue of the Americas entdeckt; sie waren aufgeschnitten und teilweise ausgeweidet, ganz so, als wäre ein tüchtiger Schlächter bei seiner Arbeit unterbrochen worden.
    Das Blutbad war so durch und durch professionell, daß die Polizei jeden aktenkundigen Mann verhörte, der in seiner Vergangenheit irgendeine Verbindung zum Metzgergewerbe aufwies. Die Fleischverpackungsbetriebe im Hafengebiet standen unter Überwachung, die Schlachthäuser wurden fieberhaft nach Spuren untersucht. Die schnelle Ergreifung des Täters wurde in Aussicht gestellt, gelang aber nicht.
    Dieses Leichentrio war nicht das erste, das man in einem solchen Zustand vorfand; genau an dem Tag, an dem Kaufman ankam, war in der »Times« eine Geschichte aufgetaucht, die noch immer den Gesprächsstoff für blutrünstigen Bürotratsch lieferte.
    Es hieß, daß ein deutscher Tourist, der sich spät nachts im U-Bahn-System verirrt hatte, in einem Zug auf eine Leiche gestoßen war. Beim Opfer handelte es sich um eine gut gebaute, attraktive, dreißigjährige Frau aus Brooklyn. Vollkommen nackt; alles war ihr abgenommen worden. Jedes Fitzchen Kleidung, jegliches Stück Schmuck, sogar die Knopf-clips an ihren Ohrläppchen.
    Befremdlicher als die Entkleidung war aber, daß die Kleidungs-stücke feinsäuberlich und penibel zusammengelegt in einzelne Plastiktüten auf der Sitzbank neben der Leiche deponiert worden waren.
    Das war nicht die Handschrift eines drauflosschneidenden Chaoten. Das hatte Stil und Methode: Ein Wahnsinniger mit ausgeprägtem Ordnungssinn steckte dahinter.
    Und weiter: Noch befremdlicher als die sorgsame Zurschaustellung der Leiche war die grausige Besessenheit, mit der diese durchgeführt worden war. Den Pressemeldungen zufolge, wenn auch von der Kriminalbehörde nicht bestätigt, war der Körper aufs gründlichste rasiert worden. Jedes Haar war entfernt worden: vom Kopf, von der Schamgegend, aus den Achselhöhlen; alles geschoren und bis aufs Fleisch blankge-schabt. Selbst die Augenbrauen und Wimpern hatte man dem Opfer ausgezupft.
    Und schließlich war dies Stück Fleisch nackter als nackt mit dem Kopf nach unten an einem der in der Dachwölbung des Waggons angebrachten Haltegriffe aufgehängt worden. Ein
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