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"Dann iss halt was!": Meine Magersucht – wie ich gekämpft habe – wie ich überlebe (German Edition)

"Dann iss halt was!": Meine Magersucht – wie ich gekämpft habe – wie ich überlebe (German Edition)

Titel: "Dann iss halt was!": Meine Magersucht – wie ich gekämpft habe – wie ich überlebe (German Edition)
Autoren: Christian Frommert , Jens Clasen
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Jahreszeit zu jedem Outfit anzogen, um damit vor allem herumzuschlurfen. Angeblich das Schuhwerk australischer Schäfer und eben dort im Original und erheblich günstiger zu haben.
    Meiner Mutter war dieser Wunsch Befehl. Und so verging kein Tag, an dem sie nicht pflichtschuldig abfragte, ob ich diese Schuhe denn schon besorgt hätte und dass ich das auf gar keinen Fall vergessen dürfe. Unter keinen Umständen.
    Nun war es mit diesen UGG s so, wie es mit so vielen Lifestyle-Produkten ist: In Australien trug die Dinger kein Mensch mehr, die Läden an den Promenaden rund um den Hafen aber waren vollgestopft mit überteuerten Kopien dieser Treter. In jeder Form und Farbe – es gab sie wie Sand am Bondi Beach. Alle original »Made in China«, gemacht von Kinderhänden für Kinderfüße, gekauft von Touristen aus aller Welt.
    Es war eine wahre Odyssee, die passenden Schuhe zu finden. Steffi und ich schauten in jeden dieser Shops, wir erkundigten uns, und ich recherchierte vor Ort und im Netz. Aber schließlich fanden wir die heiß ersehnten Boots.
    Die Dinger lagen also längst in meinem Koffer. Da meine Mutter aber immer häufiger und dringender und fast hysterisch darauf hinwies, dass ich auf gar keinen Fall diese Schuhe vergessen dürfe, machte ich mir einen Spaß daraus, ihr zu sagen, dass wir die richtigen einfach nicht finden könnten. Unmittelbar vor Abfahrt, als sie richtig kalte Füße bekam, eröffnete ich ihr, dass wir die Schuhe längst hätten und sie Janina und Celine beruhigt unter die Augen treten könne.
    Wenige Tage nach unserer Rückkehr besuchten wir meine Schwester. Sie und ihre Familie wollten natürlich hören, wie es uns denn so ergangen sei. Ich hatte gut 1000 Bilder mitgeschleppt, abgelegt auf Festplatte. Ein paar Mitbringsel und die Schuhe eben, die ich meiner Mutter in die Hand drückte, auf dass sie sie den beiden überreichen könnte. Es hätte ein schöner Kaffeenachmittag werden können. Es wurde daraus ein Drama in einem Akt, das auch Rosamunde Pilcher nicht kitschiger hätte schreiben können. »Hier! Da sind diese Schuhe. Seid froh, dass ihr mich habt, DER hätte sie euch nicht gekauft.« Ich dachte keine Sekunde daran, das Gehörte zu verarbeiten, sacken zu lassen, mit einer spitzen Replik zu erwidern. Ich war außer mir, fassungslos, unversöhnlich. Ich schrie, ich heulte, war hysterisch, ich hyperventilierte. Ich warf mich auf den Boden, Mutter saß da und kommentierte meinen rückblickend natürlich viel zu dramatischen, albernen Anfall mit bitterem Zynismus. Das peinlich berührte Publikum machte schlechte Miene zum miserablen Spiel, fand aber alsbald wieder die Sprache und langsam einen Weg aus der eigenen Schockstarre. Sie redeten auf Mutter und Oma ein. Deeskalation war gefragt, aber gerade nicht möglich.
    Letztlich konnte dann mein Schwager, der längst aus seinem Büro zu uns geeilt war, für Beruhigung sorgen. Nicht in Form von Pillen, wohl aber mit Worten. Er versprach, sich mit seiner Schwiegermutter die nächsten Tage mal zusammenzusetzen und ihre Gemütslage zu besprechen.
    Und UGG s sind mittlerweile megaout.
    Die Eiszeit hielt nicht lange an. Das übrigens war eine ihrer faszinierenden Eigenschaften. Wie hart und schwer die Zerwürfnisse auch waren, nachtragend war meine Mutter mir gegenüber nie. Sie sonderte ab und an noch mal Spitzen ab. Dieser Nachmittag aber war zwischen uns nie mehr ein Thema. Und selbst wenn: Ich kann ihr gegenüber einfach nicht konsequent sein. Nicht damals, nicht heute, wahrscheinlich nie.
    Das ist nicht schlimm. Schlimm ist: Sie weiß das alles.
    Sie weiß, dass sie über mich die Allmacht hat. Ich bin die Puppe an ihren Fäden, der Hund an ihrer Leine, der ewige Schatten. All das habe ich ein wenig lockern können. Ablegen nicht. »Omnipotenz« hat das Frau Reich-Soufflet in unserer Nachbereitung der Reise genannt.
    Sie sagte auch, dass diese Australien-Reise trotz meiner Leiden vor Ort gut für meine Therapie ist. Noch mehr als das. Das klingt jetzt seltsam, aber was glauben Sie, was meine Therapeutin über diese Fahrt mit meiner Mutter gesagt hat? Über diesen Horrortrip von einer Monster-Reise, diese über Wochen währende Tour de Force, auf der ich mehr Nerven, Kraft und Gewicht verloren habe als in den drei Monaten davor?
    Frau Reich-Soufflet sagte, diese Reise sei ein Segen gewesen.
    Ein Segen für meine Therapie. Und deshalb für mich.
    Sie war kurz davor, mich und alle Beteiligten an dem Projekt lobzupreisen. Diese Konfrontation
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