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"Dann iss halt was!": Meine Magersucht – wie ich gekämpft habe – wie ich überlebe (German Edition)

"Dann iss halt was!": Meine Magersucht – wie ich gekämpft habe – wie ich überlebe (German Edition)

Titel: "Dann iss halt was!": Meine Magersucht – wie ich gekämpft habe – wie ich überlebe (German Edition)
Autoren: Christian Frommert , Jens Clasen
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zwischen mir und meiner Mutter sogar warm, wenn wir beide mit Steffi zu dritt aufbrachen, in die Blue Mountains zum Beispiel. Das gefiel meiner Mutter sehr, und das wiederum gefiel mir. Oder einer dieser seltenen Abende, an denen offene, ehrliche Dankbarkeit aus ihrem Gesicht sprach. Ich hatte den drei Damen einen Abend im Sydney Opera House geschenkt. Von außen kennt es fast die ganze Welt, aber wer war schon mal drinnen – und das auch noch bei einer Opernaufführung? Ich nicht. Ich zog es nämlich vor, »Carmen« den Rücken zu kehren und wieder nur den Fahrservice zu spielen. Zweimal Sydney und zurück. Während gegenüber der Harbour Bridge Carmen und José also ihre Kämpfe austrugen, wartete ich in sicherer Umgebung bei Obst, Joghurt, Gemüse und Klo und hockte vor dem Fernseher. Denn an diesem Abend war Feiertag in Australien: Die Football-Saison begann …
    Es gab lichte Momente hier unten. Der Tag der Abreise war dennoch die Erfüllung einer Sehnsucht. Endlich nach Hause! Endlich zurück in die Normalität des Alltags. Auf dem Weg dorthin saß ich neben meiner dösenden Mutter im Flieger und war erleichtert – nicht allein deswegen, weil wir diesmal nur in Dubai die komfortablen Sitze verlassen mussten und fast nur in der Dunkelheit unterwegs waren, was sogar mir etwas Ruhe ermöglichte. Ich war zufrieden und die Tour der Leiden vorbei.
    Ich war wieder um eine bittere Reise-Erfahrung reicher. Wieder ein Traumziel bereist – und wieder nur verdammt froh, zurück daheim zu sein. Diese Reise mit meiner Mutter hinter mir zu haben.
    War sie wirklich vorbei? So vieles kam jetzt hoch, brach sich Bahn, wollte hinaus, suchte Worte, in die verpackt es in die Welt konnte. Ich hatte das Gefühl, dass diese eigentliche Reise für mich gerade erst begann.
    Die Reise mit Mama.

Menüwünsche
    Wie es weitergeht –
und wie alles zusammenpasst
    Australien wirkte nach, in vielerlei Hinsicht.
    Plötzlich war alles in mir nur noch ein Thema: Mutter.
    Schon immer hatte sie enormen Einfluss auf mich. Bis heute. Aber was nun geschah, war, als hätte jemand anderes mein geheimes Tagebuch gelesen und ganz andere Stellen rot unterstrichen, als diejenigen, die ich je selbst für mich als wichtig erachtet hatte. Und nun bekam ich dieses neue Buch zu lesen. Ich sah mein Leben anders. Vieles wurde plötzlich klar.
    Andere Männer hängen nicht so an ihren Müttern, sind nicht so eng mit ihnen verbandelt. Sie haben Frauen, gründen Familien und verteilen ihre emotionalen Rezeptoren anders. Ich bin nicht verheiratet, habe keine Kinder, keine Freundin, nicht einmal Lust auf Sex oder sonstige Liebesbekundungen. Direkt nach dem Verlust einer einigermaßen objektiven Wahrheit und damit verbundenen Selbsteinschätzung geht der Hunger nach Zärtlichkeit und Körperlichkeit in der Magersucht verloren. Vielleicht ist auch deshalb mein Mutter-Rezeptor nach wie vor sehr aktiv. Das macht mein Leben nicht einfacher, aber es macht es anders.
    Vielleicht mussten wir durch diese australische Hölle gehen, auf diesem Crash-Kurs steuern. Seitdem haben wir ein offeneres Verhältnis, bisweilen gar unbeschwerte Momente. Und ja, ich wurde trotz oder gerade wegen der gemachten Erfahrungen zum Wiederholungstäter. Seit diesem australischen Abenteuer sind wir noch mehrmals miteinander verreist. Im Vergleich sind wir zwar quasi gerade mal ums Eck gegangen. Aber es war Lichtjahre von dem entfernt, was wir »Down Under« miteinander erlebt, einander angetan haben.
    Natürlich gibt es auch noch diese Momente des Kampfes um jeden Quadratmillimeter Projektionsfläche. Doch sie sind seltener geworden. Wir haben einen Weg gefunden.
    Ohne die Hilfe meiner Mutter, ihre Präsenz hätte ich diesen Start in ein neues Leben nie geschafft. Ich habe nun ein Haus, einen Garten und noch immer viele Selbstzweifel. Aber durch meine Mutter habe ich auch eine Heimat. Es gibt Tage, da sehne ich mich nach ihr. Dann steige ich ins Auto, und wenn ich bei ihr ankomme, steht der Kaffee auf dem Tisch. Wir reden, wir streiten, wir verstehen und missverstehen uns. Ganz so, wie es sein soll.
    Meine Mutter hatte schon immer große Mühe damit, Emotionen zu zeigen. Oder sagen wir: positive Emotionen. Die negativen zeigte sie lieber und oft, eine ganze Klaviatur des Mürrischen hält sie parat. Aber Liebe, Zuneigung, Freude auszudrücken war ihr, seit ich mich erinnern kann, geradezu unmöglich. In nunmehr 46 Jahren habe ich von ihr nur in Ausnahmefällen Sätze gehört wie: »Danke, das
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