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Dann fressen ihn die Raben

Dann fressen ihn die Raben

Titel: Dann fressen ihn die Raben
Autoren: David Meinke
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tack.
    Als ich nach Hause kam, duftete es in der ganzen Wohnung nach frisch gebackenen Brötchen. Meine Mutter stand in der Küche und bestrich sie eifrig mit Butter.
    „Ich dachte, ich könnte mir genauso gut einen halben Tag freinehmen“, erklärte sie vorauseilend, obwohl ich gar nichts gesagt hatte. „Henrik kommt auch bald.“
    „Nicht schlecht, Herr Specht!“, rief dieser begeistert aus, als er fünf Minuten später die Küche betrat und die Schüssel mit den Brötchen erblickte. Er begrüßte mich mit einem “a-wink-and-a-gun“, zielte mit seinem Pistolenfinger auf mich und zwinkertemir dabei mit einem Auge zu. Dann gab er meiner Mutter einen Omakuss.
    Wir aßen schweigend. War das etwa der Familienrat? Ich hatte nicht vor, danach zu fragen. Allerdings fehlte in diesem Fall noch meine Schwester. Ich musste immerzu gebannt auf Henriks Schnurrbart starren, der sich bei jedem Bissen tief in die Butter grub.
    Man kann meiner Mutter wirklich nichts vorwerfen. Sie hat meinen Vater vor zehn Jahren rausgeworfen, weil er davor im Prinzip sechs Jahre lang ununterbrochen auf dem Sofa herumgelegen hatte. Er ging nach England zurück und eröffnete da das Pub, das er eigentlich in Dänemark hatte eröffnen wollen, deshalb war er ursprünglich irgendwann einmal hergekommen. Ich glaube, es war nichts als eine Erleichterung, ihn wieder loszuwerden. Meine Mutter fand ihn wohl anfangs charmant und exotisch, gleichzeitig war er aber auch unzuverlässig und unsäglich faul. Mittlerweile verkaufte er irgendwelche Schlankheitspillen und verdiente sich eine goldene Nase daran. Henrik war das genaue Gegenteil. Er war irgendwie schleichend in unser Leben gekommen. Meine Mutter und er hatten sich auf einem Jurakurs für Verwaltungsangestellte kennengelernt. Meine Mutter war für den organisatorischen Ablauf zuständig gewesen, Henrik hatte in seiner Eigenschaft als Buchhalter in der Großbäckerei Schulstad an dem Kurs teilgenommen. Und als Single. Seine Frau hatte eine Affäre gehabt und ihn verlassen. Was vor einem Jahr mit einem Koffer begann, hatte sich inzwischen zu Rasierzeug im Badezimmerschrank, einem großen Einfluss auf den Speiseplan und einem Jagdgewehr oben auf dem Kleiderschrank im Flur entwickelt. Letzteres war eigentlich das Schlimmste. Wenn die Leute ihre Schinkenbrötchen essen wollen – lass sie doch. Aber im Wald herumzurennen und Tierezu ermorden, finde ich ziemlich krank und sadistisch. „In Wirklichkeit ist das viel fairer. Denn das Tier kann entkommen. Es ist ein ganz natürlicher Kampf“, hatte Henrik einmal erklärt, als Sandra ihn gefragt hatte, warum er Bambi abgeknallt hatte. Dieser Typ war einfach nur ein Megavollpfosten.
    Plötzlich riss Sandra die Tür auf. Sie hatte wieder diesen Blick drauf, mit dem sie töten konnte.
    „Na, wollen wir’s endlich hinter uns bringen? Wollt ihr vielleicht heiraten?“
    Henrik lächelte und tupfte sich mit der Serviette den Mund ab. Doch noch bevor er etwas sagen konnte, kam ihm meine Mutter zuvor:
    „Mit dem Familienrat warten wir bis nach dem Essen.“ Und dann begann sie, Tomaten, Zwiebeln und Möhren im Mixer zu zerkleinern.
    „Dann ruft mich, wenn es so weit ist“, sagte Sandra knapp und ging aus dem Zimmer. Meine Mutter begann vor sich hin zu summen, und Henrik tupfte sich noch einmal den Mund.
    „Na Nick, wie war es heute in der Schule?“, fragte er. Tick tack, tick tack.
    „Ich habe eine mündliche Verwarnung vom Rektor bekommen, weil ich zu viele Fehlzeiten habe“, antwortete ich und fixierte ihn dabei. Er öffnete den Mund – und schloss ihn wieder, ohne etwas zu sagen. Meine Mutter drehte sich um.
    „Wie bitte?“ Jetzt war sie wieder voll da. So einfach ging das.
    „Tja. Ich war nicht unbedingt immer in allen Stunden da.“
    „Nick, verdammt noch mal, was machst du bloß für Sachen?“
    „Es wird sich schon wieder einrenken, Mama“, antwortete ich und schlich mich aus der Küche, während Henrik aufsprang, um meine Mutter zu umarmen.
    Nachdem etwas Zeit vergangen war – gab es Essen.
    „Also“, sagte meine Mutter, während sie uns Suppe in die Teller füllte. „Henrik und ich … wir haben eine Entscheidung getroffen. Wir möchten gerne umziehen.“ Sie sah uns eindringlich an. „Nach Tølløse.“
    Ich spürte einen großen, fiesen Stich in der Magengegend, während ich mir die Karte von Dänemark vor Augen rief, ohne Tølløse darauf platzieren zu können. Der Name klang jedenfalls unheilverkündend.
    „Noch bevor ihr mit
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