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Dann fressen ihn die Raben

Dann fressen ihn die Raben

Titel: Dann fressen ihn die Raben
Autoren: David Meinke
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oder?“
    Oben auf der Bühne fand gerade der Licht- und Soundcheck statt, und ein weißer Scheinwerfer leuchtete mir plötzlich direkt ins Gesicht.
    Sandra starrte mich an. Prüfend.
    „Sag mal. Du bist doch nicht etwa auch in sie verknallt?“
    „Nein, verdammt“, sagte ich und machte eine abwehrende Geste.
    „Doch, bist du! Oder etwa nicht? Doch, doch, und wie du es bist! Unfassbar!“
    Ich antwortete ihr nicht.
    „Zum Teufel, Nick, du Penner! Kaum ist Jonathan … verschwunden, schon wird seine Freundin von einem Freund besprungen, und der andere streunt um sie herum wie ein notgeiler Kater.“
    „Ach, halt’s Maul!“
    „Und dann Liv … Dieses kleine, selbstverliebte Miststück von einer Freundin.“
    „Du sollst das Maul halten, habe ich gesagt!“ Ich war kurz vorm Ausrasten. Darüber, dass sie glaubte, sich einmischen zu dürfen. Und weil sie mich so leicht durchschaut hatte. „Ich hab sie nicht angerührt!“
    „Das hat doch einen Scheiß damit zu tun. Du hast also immer noch einen verdammt schlechten Geschmack.“
    „Ich glaube, wir beenden das Gespräch an dieser Stelle lieber. Auf Wiedersehen.“ Ich verdrückte mich auf die Toilette, während noch eine von Sandras Freundinnen auftauchte und kreischend zur Gruppe stieß. Das war wirklich ein Unterschied zwischen Sandra und mir. Dieses Auf- und Abhüpfen beim Anblick der eigenen Freunde war wirklich nicht mein Stil.
    Ich trank einen Breezer und ließ mich von F.U.K.T. in den Bann ziehen, vor allem von ihrem völlig übertriebenen Angeberschlagzeuger. Einmal schielte ich aus dem Augenwinkel zu Sandra hinüber. Sie amüsierte sich. Die Band machte eine Pause und spielte dann weiter. Mir wurde allmählich langweilig. Ich bestellte noch einen Breezer. Das Mädchen neben mir hatte kurze, kräftige, aber schöne Beine. Sie trug das erste Sommerkleid des Jahres. Tick Tack.
    „Entschuldigung – darf ein Seemann einer Jungfrau in Not vielleicht einen Drink spendieren?“ Sie lächelte.
    „Nein, ich glaube nicht, dass du das darfst“, sagte sie und fuhr sich durchs Haar. Das machen Mädchen immer, wenn sie so tun, als seien sie nicht interessiert.
    „Dann vielleicht ein Bier? Ein bisschen Milch? Ein Glas Wasser?“ Ich lächelte sie an.
    „Hmmm.“ Sie überlegte. Perfekt. Und dann konnte ich in der Ferne jemanden auf uns zukommen sehen, der garantiert ihr Freund war. Mist. Auf das Theater hatte ich keinen Bock.
    „Thea. Lass uns doch wenigstens kurz reden“, sagte der Typ, der seinen Klamotten nach zu urteilen gegen seinen Willen auf dieses Konzert geschleift worden war.
    „Ein Bier“, flüsterte sie mir zu, während der Kerl sie am Arm packte.
    Ich räusperte mich: „Du … unter uns Seemännern, eigentlich unterhalte ich mich gerade mit dieser holden Maid.“
    Er sah mich nur böse an und zerrte das Mädchen weg. Ich bestellte ein Bier und wartete.
    Sandra stand in einer Ecke und knutschte mit irgendeinem Typen, den ich noch nie gesehen hatte. Martin, mit dem sie doch in den letzten vierzehn Tagen so geräuschvoll ihr Lager geteilt hatte, war anscheinend abgeschrieben. Und das Mädchen, mit dem ich geflirtet hatte, war offenbar endgültig mit ihrem Freund abgedampft.
    „Sandra, könntest du deine Zunge mal für eine Sekunde losreißen? Ich haue jetzt ab.“ Sie sah kurz auf und lächelte mich an. Dann knutschte sie weiter.
    Ich ging nach draußen, zündete mir einen Afghanen an und ließ Staffan seine Rauswerfer-Lungen bis in den letzten Winkel mit dem Rauch füllen, ehe ich mich aus dem Staub machte. Ich fror, und ich vermisste Mateus. Mateus und ich hingen seit sieben Jahren fast ununterbrochen zusammen herum. Jetzt war alles irgendwie komisch geworden. All das mit Liv. Sandra hatte ja recht. Es war lächerlich, durch die Gegend zu rennen und auf Liv scharf zu sein. Und zwar von uns beiden. Und Jonathan? Nach logischen Gesichtspunkten sprach alles dafür, dass er tot war. Aber ich glaubte trotzdem nicht daran. Und solange Jonathan nicht tot war, stand Liv völlig außer Frage. Das tat sie eigentlich sowieso. Sie war einfach nicht mein Typ. Schade, denn sie war so süß. Ich versuchte Mateus zu erreichen, hatte aber kein Glück. Dann steckte ich meine Kopfhörer in die Ohren, stellte Sigur Rós an – und latschte nach Hause. Jonathan, Mateus und ich. Wir waren unüberwindbar. Und jedes Mal, wenn ich mit Mateus zusammen war, spürte ich, dass Jonathan fehlte. Jonathan war unser gemeinsames Gehirn gewesen. Und mir schien, als hätte
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