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Dann fressen ihn die Raben

Dann fressen ihn die Raben

Titel: Dann fressen ihn die Raben
Autoren: David Meinke
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wir mit dem Plakatieren anfingen, war Mateus schlecht gelaunt. Erst hatten wir vorgehabt, sie um den Hauptbahnhof herum zu verteilen, aber die Röhren waren so sauschwer, dass wir die Idee schnell aufgegeben hatten. Stattdessen hängten wir sie nach und nach auf unserem Weg nach Østerbro auf. Als wir am Trianglen ankamen, hatten wir nur noch eine Handvoll Plakate übrig. Die Sache mit dem Kleister war eine tierische Schweinerei. Es war Samstag und erst kurz nach Mitternacht, und die Luft war immer noch mild. Ich dachte an Liv und Henrik und diesen beschissenen Familienausflug nach Tølløse, der im Morgengrauen lauerte. Tick Tack.
    „Ich weiß, wo wir die Letzten aufhängen“, sagte ich. Ich musste meinen Kopf von der Liste ablenken. Langsam schlenderten wir zur amerikanischen Botschaft.
    „Wenn du ein bisschen mit den Wachleuten plauderst, kümmere ich mich ums Kleben.“
    „Die Botschaft?“, fragte Mateus. „Warum um alles in der Welt sollen wir sie denn da aufhängen?“
    „Und zwar da drüben an den Kübeln“, antwortete ich und zeigte auf ein paar mannshohe Blumenkübel, die zwischen demGebäude und der Straße standen, „weil die USA die größten Umweltverschmutzer von allen sind.“
    „Im Leben nicht. Wir tauschen. DU sprichst verdammt noch mal mit den Wachleuten“, fauchte er. Na gut. Mateus blieb stehen, während ich zum Eingang der Botschaft schlurfte.
    „Entschuldigung, ist das hier die amerikanische Botschaft?“, fragte ich mit einem unverkennbaren jütländischen Dialekt, den ich mir von Runa abgehört hatte, der Schauspiellehrerin mit den Hängebrüsten, die wir im Internat gehabt hatten.
    „Ja“, antwortete einer der Wächter kurz angebunden. Er war klein und breitschultrig.
    „Das is aber auch ächt ein schönes Gebäude, nä?“
    „Darf ich Sie fragen, was Sie hier suchen?“
    „Ich war auf dem Jahrestreffen der freien Christen. Jetzt muss ich zurück zu meiner Gastfamilie.“
    „Na dann, nichts wie los!“, sagte der andere, der aussah wie ein Fremdenlegionär. Ich versuchte zu erkennen, wo Mateus war, traute mich aber nicht, mich umzudrehen.
    „Das is nur alles ächt kompliziert. Ich hab mich ziemlich verlaufen“, fuhr ich fort. Ich ruderte verzweifelt mit den Armen, und die beiden Wächter begannen ungeduldig mit den Füßen zu scharren.
    „Okay. Wo wohnen Sie denn?“
    „An der Strandpromenade 66. So ’ne große Wohnung, aber schon ein etwas älteres Baujahr.“
    Die beiden Wachleute sahen sich an.
    „Auf dem Strandboulevard?“
    „Ach so, ja, das kann sein.“
    „Da musst du nur hier die Straße entlang, und dann nach links. Auf Wiedersehen!“
    „So einfach is das! Na, ich war ja vorher noch nie in Kopenhausen. Sie hätten das Treffen in Valby erleben sollen. Jesus war auch da. Das sag ich Ihnen!“
    „Sie dürfen sich hier nicht aufhalten“, sagte der Fremdenlegionär.
    „Na na! Is das hier denn etwa kein freies Land?“
    Sie antworteten nicht. Stattdessen starrten sie beide in Richtung der Blumentöpfe. Dann setzte sich der Kleinere der beiden in Bewegung und ging hinüber. Ich trat einen Schritt zurück – tick tack – und schrie:
    „LAUF, MATEUS!“
    Ich drehte mich um und sah, wie Mateus verwirrt seinen Kopf über die Blumenkübel streckte. Der Legionär, der mir gegenüberstand, sah hastig von mir zu Mateus.
    „Na was, du kleiner Sadist? Wollen wir ein kleines Wettrennen veranstalten?“
    Während der Kleine hinter Mateus herrannte, sprintete ich in Richtung der Blumenkübel. Wenn ich ordentlich Fahrt drauf habe, kann ich fast jedes Hindernis überwinden, indem ich die Hände ausstreckte, mich kurz abstütze und darüberschwinge. Ich lief so schnell ich konnte, setzte über die Blumenkübel und holte Mateus ein.
    „Du Volltrottel!“, prustete er atemlos. Hinter uns stampften die Wächter. Sie holten immer mehr auf. Ich spürte, wie das Adrenalin durch meinen Körper pumpte, während die Schritte näher und näher kamen. Wir rannten um unser Leben, aber ich konnte sehen, dass Mateus’ Gesicht bereits krebsrot war, also ließ ich mich ein wenig zurückfallen und bog vom Bürgersteig auf die Straße ab. Der Legionär rannte mir nach. Ich lief auf die andere Straßenseite, rutschte über eine Kühlerhaube und lief auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig weiter. Damit war ervorläufig abgehängt. Anschließend sprintete ich in einem großen Bogen zu Matheus zurück, der immer noch wie ein Irrer um sein Leben rannte. Der kleine Wachmann hatte inzwischen
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