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Damiano

Damiano

Titel: Damiano
Autoren: R. A. MacAcoy
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erfüllt war.
    Schmerz und Furcht waren vergessen. Und wenn morgen – heute beinahe, da die Morgendämmerung nahe war –, dann würde der Tod vielleicht nicht mehr sein als dies.
    Er war nicht verdammt.
    Im Schoß des Engels geborgen, die Hände auf dem Rücken gebunden, wäre Damiano beinahe eingeschlafen. Und er wäre auch eingeschlafen, hätte er nicht dieses hartnäckige, vertraute Stupsen an seinen Händen gespürt und die Stimme gehört, die unaufhörlich und viel zu früh am Morgen »Herr, Herr, Herr«, rief.
    Damiano schlug die Augen auf.
    »Macchiata«, flüsterte er, und der schwere, dreieckige Kopf schob sich vor sein Gesicht, und sie leckte ihm die tränennassen Augen. Sie war so handfest wie im Leben und beinahe so häßlich wie sie immer gewesen war.
    »Oh, mein armer Herr, mein armer Herr«, wehklagte sie. »Gefesselt und eingesperrt. Es ist schrecklich, eingesperrt und gefesselt zu sein. Ich erinnere mich.«
    Damiano glitt zu Boden und setzte sich aufrecht hin.
    »Meine Kleine«, sagte er, »es ist so schön, dich zu sehen. Ich – ich weiß nicht, was ich sagen soll, außer daß wir vielleicht morgen wieder zusammen sein können.«
    Doch sie schlich sich weg und kletterte auf Raphaels Schoß.
    »Wir sind ja jetzt zusammen«, erwiderte sie und wandte dann ihre Aufmerksamkeit dem Engel zu. »Ich habe ihn«, verkündete sie. »Ich habe ihn in dem großen Haus die ganzen Treppen hinauf- und hinuntergeschleppt, und niemand hat mich gesehen. Aber ich bekomme ihn nicht durch die Tür. Hilf mir; ich kann den Stab meines Herrn nicht durch die Tür bekommen.«
    Raphael streichelte sie mit unbefangener Vertrautheit am ganzen Körper. Damiano mußte lächeln.
    »Verlang das nicht von ihm«, schalt er die Hündin. »Raphael kann in das Leben der Menschen nicht eingreifen. Und auch nicht in den Tod. Er kann nicht eingreifen, weil er nicht von dieser Welt ist, Macchiata. Das habe ich dir ein dutzendmal erklärt.«
    Aber der kleine weiße Geist mit dem rostroten Fleck ignorierte ihn. Auf ihren krummen Beinen trottete die Hündin zur Tür und dann zurück zu Raphael.
    »Mach die Tür auf«, verlangte sie. »Ich schaffe es nicht, und es ist spät. Mach auf.«
    Der Engel sah zu Damiano hinüber, bis dieser den Blick abwandte.
    »Sei still, Macchiata«, flüsterte er. »Er kann es nicht.«
    Da neigte sich Raphael hinüber und öffnete die Tür zur Hütte. Sternenlicht flutete herein, und das eiserne Vorhängeschloß schwang, unversehrt, am Holz hin und her.
    Macchiata sprang hinaus und tauchte gleich darauf mit dem Ebenholzstab wieder auf. Mit viel Geklopfe und Gewummere schleppte sie ihn heran, bis er die Finger von Damianos gefesselten Händen berührte.
    Er stieß einen Schrei aus, als die Kraft ihn durchströmte.
    »Raphael! Was hast du getan? Du hast – dich eingemischt!«
    Raphaels Lächeln war verhalten und nach innen gekehrt.
    »Ja, das habe ich, Dami«, erwiderte er und faltete die schlanken Finger. »Es ist eine sehr interessante Erfahrung«, fügte er hinzu. »Ich würde gern wissen – «
    Damiano konnte nicht länger warten. Er sprach drei Worte.
    Die schwere Tür wurde mit solcher Wucht gegen die Hüttenmauer geschleudert, daß die Steine erzitterten und die eiserne Angel in Stücke zerbarst. Durch alle Ruinen von San Gabriele fuhr die gleiche ungebärdige Kraft, stieß krachend Türen auf und zerriß Pergamentfenster. Die Schwertgürtel der Wachposten sprangen aus ihren Schließen und fielen zu Boden.
    Die Bänder von Miedern und Wamsen sprangen aus ihren Ösen, und Damianos Fesseln schnellten von seinen Händen wie erschreckte Schlangen. Bei den torlosen Torpfosten des Dorfes spulte sich eine Schlinge aus festem Strick, die für den Morgen geknüpft worden war, vom Baum und blieb schlaff wie ein toter Wurm auf der vielbegangenen Straße liegen.
    Damiano rappelte sich hoch. Mit einer gefühllosen, blau angelaufenen Hand hob er die kleine Hündin auf. Er umarmte Raphael und küßte ihn herzhaft auf beide Wangen. Dann trat er auf die Straße hinaus, wo Nacht und Tag einander berührten, und im Osten graute es schon.
    Die Wachposten sahen ihn herauskommen, prächtig anzuschauen in seinem Wams aus Gold und dem scharlachroten Umhang, der mit blendend weißem Hermelin gefüttert war. Er war jung und kräftig und furchtlos. Er lächelte sie an, als er vorüberging und dabei im Takt mit seinem hohen Stab auf den Boden klopfte. Und wenn sie den Erzengel sahen oder die geisterhafte Hündin, so ließen sie nichts
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