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Damiano

Damiano

Titel: Damiano
Autoren: R. A. MacAcoy
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hüpfte und sprang die Melodie, als ritte sie auf einem übermütigen Pferd, und beim viertenmal wurde dieses Pferd in den Kampf geritten. Die fünfte Wiederholung machte daraus ein Klagelied, und als alles vorbei schien – wie die Stationen eines ereignisreichen Lebens –, spielte er die Melodie noch einmal als Tanz, die sie eigentlich war. Und während Damiano dem Spiel lauschte, wandelte sich seine Belustigung in Hochachtung.
    »Von jetzt an halte ich den Mund«, murmelte er.
    »Das täte mir aber herzlich leid, mein Freund«, versetzte der Engel. »Ich höre dich gern sprechen.«
    Das Lächeln, das er auf Damiano richtete, war beängstigend in seiner Milde, aber Damiano war an Raphaels Lächeln gewöhnt. Er lächelte zurück.
    »Bitte, Seraph, wenn du die Laute schon in der Hand hältst, dann spiel doch noch einmal das französische Stück von letzter Woche. Ich bekomme die Gegenrhythmen einfach nicht hin.«
    Raphael zog wieder seine goldene Braue hoch, die wie eine Möwenschwinge geformt war, aber da kein Musiker sich zweimal bitten läßt, begann er zu spielen.
    Damiano sah ihm zu und lauschte und dachte: Ich bin begünstigt wie kein anderer Mensch auf Erden. Ich kann das nicht verdienen, nicht wenn ich Blei in Gold verwandle und Fleisch in Feuer, nicht wenn ich mir meine Keuschheit mein Leben lang bewahre.
    Aber dann kam ihm der Gedanke, daß vielleicht nicht jeder junge Mann in Piemont das Saitenspiel eines Engels Gottes so hoch einschätzen würde, daß er bereit gewesen wäre, dafür auf ewig keusch zu bleiben. Selbst Damiano litt Momente der Unzufriedenheit – wegen der Keuschheit, nicht wegen Raphael.
    Außerdem waren Engel kein gewöhnliches Objekt der Studien, nicht einmal bei den Alchimisten, da sie keine materielle Macht zu bieten hatten und eher geneigt waren, die Wahrheit zu sagen als wahrzusagen. Nicht einmal Damianos Vater, der ein Hexer von hervorragendem Ruf gewesen war, hatte je versucht, einen Engel zu rufen. Mit anderen Geistern hatte er zugegebenermaßen Verbindung aufgenommen, aber das hatte Delstrego bereut.
    Zumindest hoffte Damiano, daß sein Vater es bereut hatte. Und es war wohl auch so, da Guillermo Delstrego eine gute Weile zum Sterben gebraucht hatte.
    Während Raphael auf seinem Instrument spielte, versuchte Damiano, der die Musik kannte, ihm auf seinem Instrument zu folgen. Aber bald schon sprengte der Engel die engen Grenzen des französischen Hirtenlieds, wie sein Schüler im voraus gewußt hatte, und ging zu Melodien und Rhythmen über, die ihm gerade in den Sinn kamen oder die er aus dem Stegreif erfand. Raphael verstand sich darauf, die verschiedenen Stimmen miteinander zu verflechten, daß sie wie eine einzige klangen, und als Damiano schon beinahe vergessen hatte, worauf er eigentlich lauschte, trennten sich die Stimmen wieder voneinander. Es waren vier, nein fünf. Sechs?
    Damiano war völlig verwirrt, indes der Engel die Saiten alle zugleich anschlug; eigentlich hätte das ein dissonantes Katzengejaule ergeben müssen, aber das geschah nicht. Raphael streifte die Saiten leicht, wie mit sanftem Flügelschlag, und seine linke Hand bebte über dem glänzenden schwarzen Holz des Lautenhalses. Das war keine Musik mehr – es sei denn, das Spiel des Wassers wäre Musik oder das Streichen des Windes über Grashalme.
    Damiano vernahm Stille und fühlte, daß Raphaels Blick auf ihm ruhte. Das Antlitz des Engels war makellos wie Silber, und sein Blick war klug wie der einer Mutter. Er wartete, daß Damiano sprechen würde.
    »Werde ich je so spielen?« murmelte er, aus einem Wachtraum emportauchend.
    Weiße Schwingen raschelten. Die Frage schien Raphael zu verwundern.
    »Du wirst spielen wie – wie Damiano. Wie du das jetzt schon tust. Anders vermagst du es nicht.«
    »Das ist alles? Wie ich ohnehin schon spiele?« Seine Enttäuschung schmolz unter der Intensität dahin, mit der die nachtblauen Augen ihn ansahen.
    »Immer mehr wird dein Spiel Damiano werden. So wie dein Leben die ihm eigene Gestalt gewinnen wird, so auch deine Musik.«
    Damiano verzog schmollend den vollippigen Mund. Sein Blick wich dem Raphaels aus und wanderte statt dessen durch den großen Saal mit den cremefarbenen Wänden, dem mit Blumenmustern bemalten Fußboden, den Geräten und Tiegeln der Alchimie, die auf den säurebefleckten Eichentischen verstreut lagen. Er blieb schließlich auf dem schwarzen Kessel hängen, der über dem Feuer hing.
    »Damiano stottert und stammelt. Seine Ausdrucksweise ist so
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