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Daisy Goodwin

Daisy Goodwin

Titel: Daisy Goodwin
Autoren: Eine englische Liebe
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irgendwas nicht?», fragte Bertha nun
doch.
    Der Kolibri-Mann wandte sich seinen
Vögeln zu und machte mit dem Mund kleine knallende Geräusche. Er schnalzte mit
der Zunge und blickte dann traurig zu Bertha auf. «Sie hat gesagt, ich soll
sagen, dass alles in Ordnung ist, aber ihr geht es nicht gut, Bertha. Sie ist
so dünn, sie sieht aus, als würde der nächste Sturm sie wegwehen. Sie schwindet
dahin, ich glaube nicht, dass sie den nächsten Winter erlebt. Wenn Sie sie
noch mal sehen möchten, sollten Sie sich beeilen.»
    Bertha sah auf die Käfige hinunter,
in denen die Vögel zischten wie ein Tischfeuerwerk. Sie berührte mit den
Händen ihr Haar, es war glatt. Das Haar ihrer Mutter war kraus – es musste
immer unter Kopftüchern versteckt werden. Sie wusste, dass der Kolibri-Mann
eine Gefühlsäußerung von ihr erwartete, zumindest Tränen. Aber Bertha hatte
seit Jahren nicht geweint, seit zehn Jahren genau, seit sie in den Norden
gekommen war. Was für einen Zweck hätte es? Es gab ja doch nichts, was sie tun
konnte. Bertha wusste, dass sie Glück gehabt hatte; sie kannte kein anderes
farbiges Mädchen, das Zofe einer Lady geworden war. Seit sie Miss Coras Zofe
war, versuchte sie, zu sprechen, sich zu kleiden und zu benehmen wie sie,
soweit sie dazu in der Lage war. Sie erinnerte sich an die schwieligen Hände
ihrer Mutter und stellte fest, dass sie es nicht schaffte, den Kolibri-Mann
anzusehen.
    Wieder ertönte die Klingel des
Blauen Salons. Eines der Mädchen kam aus dem Nachbarraum und rief: «Miss Cora
hat schon zum zweiten Mal geklingelt, du solltest besser mal hochgehen,
Bertha.»
    Bertha sprang auf. «Ich muss jetzt
gehen. Ich komme nachher noch mal zu Ihnen, wenn der Ball angefangen hat. Gehen
Sie nicht, ehe ich bei Ihnen war.» Sie versuchte ihre Erleichterung ob der Unterbrechung
durch ihren ungestümen Tonfall zu verbergen.
    «Ich werde auf Sie warten, Bertha»,
sagte der Kolibri-Mann.
    Die Klingel läutete wieder. Bertha
lief, so schnell sie es wagte, die Dienstbotenstiege hinauf. Rennen war verboten.
Eines der Dienstmädchen war entlassen worden, weil sie beim Hinuntergehen der
Marmortreppe zwei Stufen auf einmal genommen hatte. Despektierlich hatte
Mr. Simmons, der Butler, es genannt.
    Sie klopfte an der Tür des Blauen
Salons und trat ein.
    Cora weinte fast vor Erbitterung.
«Wo warst du denn, Bertha? Ich habe schon dreimal geklingelt. Befrei mich von
diesem Höllending.»
    Sie zerrte
an den Lederbändern, die um ihren Körper gewunden waren. Alle Schnallen des
Wirbelsäulenstraffers, der nach Mrs. Cashs eigenen Entwürfen angefertigt worden
war, befanden sich auf der Rückseite, sodass es unmöglich war, ihn ohne fremde
Hilfe zu entfernen.
    Bertha versuchte sie zu beruhigen.
«Es tut mir leid, Miss Cora, der Mann mit den Kolibris hat mir Nachricht von zu
Hause gebracht, da muss ich die Klingel überhört haben.»
    Cora
schnaubte. «Es ist ja wohl kaum eine Entschuldigung, dass du dir Klatsch und
Tratsch anhörst, während ich hier festgebunden bin wie ein Hühnchen.»
    Bertha sagte nichts, sie fingerte an
den Schnallen herum. Sie merkte, wie ihre Herrin vor Ungeduld an den Bändern
zerrte. Sobald sie von dem Geschirr befreit war, schüttelte Cora sich wie ein
Hund, dann fuhr sie herum und ergriff Bertha bei den Schultern. Bertha war auf
eine Standpauke gefasst, aber zu ihrer Überraschung lächelte Cora.
    «Du musst mir sagen, wie man einen
Mann küsst. Ich weiß, dass du weißt, wie es geht, ich hab dich nach dem Ball
der Vandemeyers mit ihrem Stallburschen gesehen.» Coras Augen funkelten vor
Eifer. Bertha wich zurück.
    «Ich glaube nicht, dass man
beschreiben kann, wie man küsst», sagte sie langsam, um Zeit zu schinden. Würde
Miss Cora Mrs. Cash von ihr und Amos erzählen?
    «Dann zeig
es mir. Ich muss es richtig machen», sagte Cora wild und beugte sich Bertha entgegen.
Dabei warf die sinkende Sonne einen späten Lichtstrahl auf ihr kastanienbraunes
Haar und ließ es aufleuchten.
    Bertha
versuchte, nicht zurückzuschrecken. «Sie möchten wirklich, dass ich Sie küsse,
so wie es ein Mann tun würde?», sagte sie zögernd. Gewiss meinte Miss Cora es
nicht ernst.
    «Ja, ja,
ja.» Cora nickte entschlossen. Der rote Abdruck des Riemens war auf ihrer Stirn
immer noch deutlich zu sehen.
    «Aber, Miss Cora, es ist
unnatürlich, wenn zwei Frauen sich küssen. Falls uns irgendjemand sieht,
verliere ich meine Stellung.»
    «Ach, sei doch nicht so zimperlich,
Bertha. Wie wär's, wenn ich dir
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