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Dahoam is ned dahoam - Bayerische Ein- und Durchblicke

Dahoam is ned dahoam - Bayerische Ein- und Durchblicke

Titel: Dahoam is ned dahoam - Bayerische Ein- und Durchblicke
Autoren: Helmut Schleich
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bayerischen Königsschloss zu realisieren, waren wir wie elektrisiert und machten uns zusammen mit der bewährten Gamsbart-Truppe um Regisseurin Martina Schnell mit großem Elan an die Arbeit. Die Geschichte vom neuen bayerischen König, basierend auf einer nicht realisierten Romanidee von Thomas, wurde um neue Handlungselemente bereichert. Ein besonderer Höhepunkt war die aus Paris eingeflogene chinesische Wagner-Sängerin Qiu lin Zhang, der zuliebe Pitu Pati zum kleinsten Wagner-Orchester der Welt mutierten und sie bei einer Arie aus der Walküre begleiteten.
    Im Zentrum des Spektakels stand der von Helmut gespielte Obersendlinger Otto Mayerhofer, vom Innenminister durch blindes Tippen ins Telefonbuch zum neuen bayerischen König bestimmt und zwecks Einführung in sein hohes Amt nach Herrenchiemsee verfrachtet – ein Stoff, aus dem man viel kabarettistischen Honig saugen konnte.
    Freilich gab es bei allem Wohlwollen von offizieller Seite auch gewisse Auflagen für unser Kabarett im Märchenschloss. Ob wir denn in unserem Programm behaupten würden, Ludwig II. wäre verrückt oder schwul gewesen, wurden wir gefragt, das wäre nämlich nicht erwünscht, ebenso wenig, dass er selbst als Figur im Schloss aufträte. Da schau her, Ludwig hat in seinem eigenen Schloss offenbar Hausverbot, witzelten wir und wussten damals noch nicht, dass im Rahmen der Landesausstellung 2011 dann doch ein Ludwig im Schloss auftreten durfte – als Videoprojektion zwar, aber immerhin nicht gerade heterosexuell dahernäselnd.
    Der von uns erfundene König Ludwig IV. alias Otto Mayerhofer war da schon aus anderem, sehr viel gröberem Holz geschnitzt. Zur Freude des Publikums ließen wir ihn als Heimwerker auf die Ziegelwände des Rohbautreppenhauses los und behaupteten frech, er hätte soeben mit Hammer und Meißel ein unersetzliches Gesamtkunstwerk zerstört – das von uns erfundene »blaue Treppenhaus«, das angeblich König Ludwigs Ein und Alles war. Aber was sollte er machen, der neue König? Da hatte man ihm ein extrem unpraktisches Schloss aufs Auge gedrückt, das er nun mit Rigipsplatten und Nut-und-Feder-Brettern aus dem Baumarkt in sein ganz privates Wüstenrot-Traumhäuschen verwandeln musste.

    »Da hält dir kein Dübel!«
    Es war schon seltsam, aber im Lauf der Zeit kam uns diese unsere Idee selbst immer ungeheuerlicher vor. Je öfter wir vor Beginn der Vorstellung zusammen mit unseren wenigen Betreuern im Schloss waren, desto mehr wuchs es uns ans Herz. Wir glaubten förmlich spüren zu können, wie es sich jeden Abend vom tagtäglichen Massenansturm erholte, wie sich seine wunderschönen Parkettböden unter den roten Trittschutzteppichen mit leisem Knarzen streckten, reckten und entspannten. Ein Lebewesen aus Ziegeln und Stuckmarmor, das Blattgold als Schminke aufgelegt hatte und sehnsüchtig auf jemanden wartete, dem es die in ihm schlummernden Geschichten erzählen konnte. Um wirklich zu verstehen, wie viele Ideen Ludwig II. hier in Grundrissen, Gemälden und Dekorationen verstecken ließ, darf man sich nicht im 20-Minuten-Schnellgang durch das Schloss hetzen lassen. Nur wer die Zeit – und die Gelegenheit! – dazu hat, vor diesem oder jenem Detail ein wenig zu verweilen, kann erahnen, was sich Ludwig mit diesem Schloss hatte schaffen wollen: einen Gesprächspartner, ein Gegenüber, mit dem zusammen er nicht nur seiner eigenen, von ihm als banal und schrecklich empfundenen Zeit entfliehen, sondern auch auf allen möglichen sinnlichen und intellektuellen Ebenen in Diskurs treten konnte.
    Wir hatten die Gelegenheit, zumindest ansatzweise. Wenn Thomas als »Hofhistoriker« die Zuschauer zu Beginn der Vorstellung durch Spiegelsaal, Paradeschlafzimmer und die anderen Prunkräume führte, dann eilte er ihnen stets ein Stück weit voraus und schritt dann für kurze Zeit ganz allein – ein wahrhaft königliches Gefühl! – durch diese bis ins Letzte ausgeklügelte Kulissenwelt. Trotz Lampenfieber und Textmemorieren spürte er, wie er sich mit jedem Schritt weniger wie der eine Ludwig fühlte – der zweite, der bayerische –, sondern wie der andere, französische, der vierzehnte, der Sonnenkönig. Ludwigs architektonische Zeitmaschine funktioniert!
    Besser jedenfalls als die Verkabelung seines Schlosses. Unser Techniker Helmut Bauer musste in jeder Spielzeit erst einmal einen Tag lang im Rohbautreppenhaus kilometerlange Leitungen verlegen, damit wir unsere improvisierte Bühne auf dem großen Treppenabsatz überhaupt
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