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Dabei und doch nicht mittendrin

Dabei und doch nicht mittendrin

Titel: Dabei und doch nicht mittendrin
Autoren: Haci-Halil Uslucan
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Frage, ob andere Religionen für sie genauso wichtig seien wie der Islam, gaben rund 61 Prozent eine eindeutig befürwortende Haltung an, knapp 18 Prozent hatte eine eher einschränkende Haltung und etwa 20 Prozent berichteten, andere Religionen seien für sie nicht genauso wichtig wie der Islam. 92
    So lässt sich schlussfolgern, dass für Schüler des Islamunterrichts die Beschäftigung mit ihrer Religion keineswegs selbstgenügsam ist, sondern es sie weitgehend offen für das Kennenlernen anderer Religionen macht. Mit Blick auf diese Ergebnisse ist die imaginierte Gefahr einer »Islamisierung« jedenfalls überzogen, gleichwohl sich auch hier unverkennbare Separationstendenzen zeigten.
    Erleiden Muslime aber im sozialen wie medialen Alltag trotz ihrer prinzipiell integrationsoffenen Orientierung Diskriminierungen, etwa, wenn ein Arzt die Behandlung einer kopftuchtragenden muslimischen Patientin verweigert, wie im April 2008 in Kaltenkirchen (Schleswig-Holstein) geschehen, so löst das nicht nur Ärger und Frustration aus, sondern diese Erfahrungen können dann zu einer Festigung der sozialen Identifikation mit der Herkunftsgesellschaft und zu einer stärkeren Abkehr von der Mehrheitsgesellschaft beitragen.
    Mit diesem Verhalten geben sie aber genau jenen gehässigen Thesen der Integrationsresistenz von Muslimen scheinbar empirische Beweise und Argumentationshilfe.
    Gleichzeitig ließe sich darauf antworten (und in der öffentlichen Diskussion geschieht es immer wieder): Sollen doch die muslimischen Migranten selber an der Änderung ihrer gesellschaftlichen Wahrnehmung, ihres Bildes in der Öffentlichkeit arbeiten und so die Stereotype über sie verändern. Sicherlich istes für das Verständnis sozialer Prozesse richtig, eine Sicht einzunehmen, die beide Seiten berücksichtigt. Es ist aber auch zu bedenken, dass unter bestimmten Konstellationen muslimische Migranten nur wenige Möglichkeiten haben, die Stereotype über sie zu korrigieren. Und dies umso weniger, wenn sie im Kontext von selbst erfüllenden Prophezeiungen eigentlich gerade angemessen auf das Verhalten des anderen reagieren. Konkret heißt das: Wenn etwa Muslimen mit Ablehnung begegnet wird (aufgrund des negativen Stereotyps über sie) und sie darauf ihrerseits zurückhaltend und ablehnend reagieren, was also die angemessene Antwort auf eine Ablehnung wäre, dann wird dadurch in den Augen des Vorurteilsträgers das negative Bild nur bestätigt. Vom Stereotyp abweichende Personen werden dagegen häufig individualisiert und isoliert; es geschieht ein sogenanntes »Subtyping«, das heißt, diese werden als abweichend von der großen Gruppe der »Muslime« – quasi als »der gute Migrant«, der »gute Muslim« – wahrgenommen, also neutralisiert. So aber bleibt das allgemeine und gängige Stereotyp bestehen. 93
    Es ist also nötig, diese differenzierten Aspekte zu beachten, wenn in medialen, politischen und gesellschaftlichen Kontexten vorschnell von Bedrohungsszenarien oder wachsenden Islamisierungstendenzen gesprochen wird. Denn nicht selten ist, gerade bei sogenannten »gescheiterten Integrationsverläufen« oder »problematischen Gruppen«, ein verheerender Kreislauf von Berichterstattung und Alltagswahrnehmung zu beobachten: Angeblich wissenschaftliche Betrachtungen, die auf anekdotischen Einzelbeobachtungen basieren (»Neulich erzählte mir eine türkische Mutter in Neukölln …«), werden massenmedial aufgeputscht und führen bei den Praktikern (Erziehern, Lehrern, Sozialarbeitern) zu genau jener Form der Wahrnehmung ihres Klientels, die von dieser unreflektierten Berichterstattung erzeugt wird. Präzise, in die Details gehende Forschung, die den kartellartigen Verweisungszusammenhang aufbricht, zeigt dagegen die Vielfältigkeit der Beweggründe. Diese erscheinen aberPraktikern oft nicht mehr interessant. Dieser »Teufelskreis« lässt sich auch gedächtnispsychologisch gut erklären: Denn Menschen erinnern sich eher an jene Informationen, die mit ihren Hypothesen stärker übereinstimmen. 94

Integration durch mehr Einfluss und gesellschaftliche Teilhabe
    Für eine bessere Integration von Migranten muss ihr gesellschaftlicher Einfluss erheblich steigen. Wie aber kann der erzeugt und wie kann er durchgesetzt werden?
    Sozialer Einfluss in einer Gesellschaft ist zu großen Teilen von Abhängigkeitsbeziehungen bestimmt. Gruppen, die einen hohen Status und hohe materielle Ausstattung besitzen, sind viel stärker in der Lage, Einfluss zu nehmen. So
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