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Dabei und doch nicht mittendrin

Dabei und doch nicht mittendrin

Titel: Dabei und doch nicht mittendrin
Autoren: Haci-Halil Uslucan
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dass sie kreative Sprachmixturen generieren (statt dies nur als Semilingualität zu verwerfen), wenn sie mit Musikinstrumenten spielen können (wie etwa der
Saz
, der türkischen Lang-halslaute), die hier wenig bekannt sind und deren virtuose Beherrschung selten wertgeschätzt wird.
    Letztlich geht es darum, dass Migranten ihre Kompetenzen fördern können, in ihren Kompetenzen anerkannt werden und diese auch in sozialen Status, wie etwa höhere Bildungsabschlüsse, anspruchsvolle Tätigkeiten oder Positionen umwandeln können.

Integration und Islam: Droht uns eine Islamisierung?
    Seit einigen Jahren, spätestens seit den Anschlägen vom 11. September 2001, mehren sich in der Öffentlichkeit die Stimmen, die von bedrohlichen und wachsenden Islamisierungstendenzen in der deutschen Gesellschaft, von einer »islamischen Unterwanderung«, sprechen. Kommen jedoch Muslime als Akteure zu Wort, so berichten diese ihrerseits von zunehmend stärkeren islamophoben Einstellungen und Haltungen, von Ablehnungserfahrungen sowie subtilen und offenen Diskriminierungen.
    Aus psychologischer Perspektive scheinen sich beide Positionen nicht auszuschließen und können gleichermaßen wahr sein. Denkbar ist, dass Muslime sich aufgrund einer wahrgenommenen Ablehnung mehr zurückziehen, sich eher in eigenkulturellen und religiösen Netzwerken engagieren. Somit tragen sie zu einer ungewollten Distanzvergrößerung zwischen sich und den Vertretern der Mehrheitsgesellschaft bei. Dieser Rückzug kann dann wiederum zu einer erhöhten Fremdheitswahrnehmung und zunehmender Ablehnung führen.
    Empirische Studien dokumentieren, dass Migranten von gegenwärtigen gesellschaftlichen Verunsicherungen, Ambivalenzen und Desintegrationserfahrungen deutlich stärker betroffen sind als Einheimische. Die pluralen Lebensentwürfe sowie damit einhergehend ein ausgeprägterer Individualisierungsschub führen insbesondere bei Menschen, die aus eher homogenen kulturellen Umwelten, wie etwa den ländlichen Regionen der Türkei stammen, wo die Gewissheiten des Alltags verankerter sind, zu Irritationen und zur Wahrnehmung der deutschen Gesellschaft als ungeordnet. Die das soziale Leben leitenden Werte und Regeln scheinen für sie eher diffus und undurchsichtig zu sein. 83 Es ist also wenig verwunderlich, wenn in diesemZusammenhang die Orientierung am Islam eine große Ordnungsfunktion hat: Er gibt klare Regeln und reduziert einen Teil der Komplexität des Alltags. Diese Schutz- und Orientierungsfunktion hatte der Islam insbesondere im Leben vieler türkischer Migranten der ersten Generation, die – in räumlich abgeschlossenen Umgebungen lebend – durch Errichtung von Gebetsstätten Orte sowohl sozialen Kontakts als auch spiritueller Seelsorge schufen. 84
    Besonders Migranten aus islamischen Ländern erleben in der Fremde die Religion bewusster. Religiosität erscheint, auch wenn sie aus einer Situation der geistigen Obdachlosigkeit herrührt, als eine frei gewählte Option, denn der soziale Druck ist in Deutschland deutlich geringer. In den Herkunftsländern hingegen ist Religiosität oft eine vorgegebene und vom sozialen Umfeld getragene Orientierung. Diese Formen der bewussten Rückwendung sind jedoch nicht islam-, sondern vielmehr migrationsspezifisch, das heißt, sie betreffen auch andere Migranten in anderen Teilen der Welt.
    Mit dem Familiennachzug stellt sich für viele (muslimische) Migranten die Frage der Weitergabe der eigenen Tradition und Religion an die nachwachsende Generation, dies umso mehr, je stärker sich die Familien in der Fremde bedroht fühlen, Rückzugstendenzen in eigene kulturelle Muster zeigen und ein deutlicheres Abgrenzungsbedürfnis erleben. Die religiöse Sozialisation wird in den islamischen Ländern vielfach von der Umgebung unterstützt und unreflektiert als eine Alltagsgewissheit übernommen; es erfolgt also durch die Gesellschaft eine Koedukation. Dagegen ist aber in der Migrationssituation – dort, wo der bestätigende und unterstützende soziale Kontext entfällt – aus Sicht religiöser Eltern eine gezielte islamische Erziehung notwendig. 85 Durch einen Rückzug in eigenkulturelle und -religiöse Zusammenhänge erfahren Muslime dann die Halt gebende Zugehörigkeit zur
Umma
, zu einer religiös qualifizierten Gemeinschaft.
    Jenseits von Integrationsgedanken wird in dieser Gemeinschaft zunächst die eigene Identität unter seinesgleichen gewahrt und bestärkt. Seine Religion zu leben, fungiert auch als Schutz vor einer
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