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Dabei und doch nicht mittendrin

Dabei und doch nicht mittendrin

Titel: Dabei und doch nicht mittendrin
Autoren: Haci-Halil Uslucan
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ursprünglichen Zielsetzungen und Wünsche, die mit der Migration verbunden waren – das Gelingen ihrer Integration einschätzen zu lassen.
    2) »Integration hin oder her, es bleibt doch aber eine kulturelle Distanz zwischen Deutschen und Türken« – das ist die zweite zur Litanei gewordene Feststellung in dieser tückischen Debatte. Sicherlich ist der lebensweltliche Unterschied zwischen deutschen und türkischen Familien, im Vergleich etwa zu italienischen, spanischen oder griechischen Familien, wesentlich größer. Umso relevanter ist die Frage, inwieweit diese Trennung durch Kommunikation und Interaktion überwunden werden kann und welche Bereitschaft und Akzeptanz beiderseitig bestehen, um diese Differenzen praktisch zu überbrücken. Denn die unterstellte Fremdheit der Türken ist ja kein unausweichliches Merkmal ihrer Existenz, keine natürliche Eigenschaft, sondern vielmehr die Definition einer Beziehung; festgehalten und ausgesprochen von jenen, die die Deutungsmacht innehaben und das Eigene als Standard ansetzen. Die Frage, ob Heterogenität und Andersheit nicht auch eine Chance sein können, wird dabei überhaupt nicht bedacht.
    Doch fremd ist nicht nur der Türke dem Deutschen; nicht minder kursieren innerhalb der türkischen
Community
überzogene, irreale und teilweise groteske Vorstellungen und Phantasien über Deutsche, die vermuten lassen, dass diese den Türken nicht weniger andersartig vorkommen. Eine zusätzliche Entfremdung erleben Türken, wenn sie in ihre vermeintliche Heimat reisen und ihnen dort als »Almanc?«, als »Deutschländer« subtil signalisiert wird, nicht oder nicht mehr ganz dazuzugehören, sich also mit der Migration ihre Vorzugsmitgliedschaft im »heimischen Lager« verspielt zu haben.
    Dieses sich permanent wiederholende Erleben der Fremdheit – die Fremde ist nicht zur Heimat, aber die einstige Heimat ist zur Fremde geworden – kann zu latenten psychischen Verwundungen, Kränkungen und Selbstwerteinbußen führen. Ausgehalten werden muss der Schmerz, nicht mehr Teil der »imaginierten Gemeinschaft« zu sein und gleichzeitig in einer Welt zu leben, zu der man auch noch nicht gehört. 4
    Eingedenk dessen taugt die Begründung von Alltagshandlungen (der Fremden) mit einer starren Berufung auf deren Kultur wenig und bildet ein äußerst konservatives Argument. Denn damit wird die Prozesshaftigkeit und Veränderbarkeit von Kultur in Abrede gestellt. Kultur ist ja nicht einfach gegeben: Menschen eignen sich zwar überlieferte kulturelle Praxen an, deuten diese jedoch im Alltag subjektiv stets um. Sie gleichen sie mit anderen Interaktionspartnern ab und entwickeln für neue Situationen veränderte Handlungsstrategien und verwandeln dabei auch immer ein Stück weit die kulturellen Vorgaben.
    In der Migration kommt es regelmäßig zu einer Werteveränderung, selbst dann, wenn die Werte der Herkunftskultur aufrechterhalten werden: Dann neigen Migranten bewusst dazu, die neue Umwelt und ihre impliziten und expliziten Wertevorstellungen abzuwehren; sie bilden vielfach Defensivstrategien aus. So taugt das Kulturargument auch deshalb wenig, weil ihm die Vorstellung innewohnt, Menschen würden in ihremHandeln stets kulturkonform agieren, seien programmiert von kulturellen Vorschriften und vollführten in ihrem Handeln stets das, was ihnen ihre Kultur eingetrichtert hat. Unter diesen Umständen wäre ein Deutscher von einem anderen Deutschen genauso wenig zu unterscheiden wie ein Türke von einem anderen Türken.
    Und wenn kulturelle Identifikation im Integrationsdiskurs doch virulent wird, dann wird gern auf ein Topos zurückgegriffen, das seit Norbert Elias’ berühmter Studie über
Etablierte und Außenseiter
5 als ein klassisches Kennzeichen der Beziehung von Alteingesessenen und Neuhinzugekommenen gilt: Die Mehrheitsgesellschaft identifiziert sich mit den besten ihrer Vertreter, die Minderheit wird aber mit den negativsten Exemplaren ihres kulturellen oder ethnischen Hintergrundes gleichgesetzt. Am Ende wird in jedem Deutschen ein Goethe oder ein Thomas Mann, in jedem Polen aber ein potenzieller Autoknacker, in jedem Türken ein Gewalttäter gesehen.
    Die Forderung jedoch, ohne Angst anders sein zu können, scheint die Grenzen der Bescheidenheit zu sprengen, wenn sie nicht gar als ein gefährliches Aufmucken des Migranten gedeutet wird. Wie gefestigt, wie liberal und wie tolerant eine Kultur ist, hängt nicht zuletzt davon ab, wie viel Raum sie dem »Fremden« zugesteht. Wie
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