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Dabei und doch nicht mittendrin

Dabei und doch nicht mittendrin

Titel: Dabei und doch nicht mittendrin
Autoren: Haci-Halil Uslucan
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deutschen Sprache verankert, gleichwohl nicht immer mit einem positiven Beigeschmack. Bezeichnungen wie »Kümmeltürke«, einen »Türken bauen« oder etwas »getürkt« zu haben, als Ausdruck einer unerlaubten oder unsorgfältigen Arbeitsweise, zählen dabei noch zu den harmlosen. Und manchmal, so etwa bei den »Kümmeltürken«, haben sie überhaupt keinen Bezug zu ihrem Gegenstand; denn so wurden Hallenser Studenten bezeichnet, in deren Region der Kümmel angebaut wurde und der sie nach Verzehr »burschikos« und »stark« im Studium machen sollte. »Getürkt«, um das andere populäre Stereotyp aufzugreifen, hatte allenfalls im Jahre 1895 die Marinekapelle des deutschen Kaisers Wilhelm II.: Bei der Einweihung des kaiserlichen Kanals fehlten ihr beim Passieren des türkischen Schiffes – damals noch Osmanisches Reich – die Noten der türkisch-osmanischen Nationalhymne; sie überspielte, im wahrsten Sinne des Wortes, die missliche Situation, indem sie einfach das Kinderlied
Guter Mond, du gehst so stille
anstimmte.
    Viel brisanter jedoch sind die Bilder des Türken als der Inbegriff des Bösen in theologisch-politischen Traktaten der frühen Neuzeit. Sowohl der Humanist Melanchton als auch Martin Luther wetteiferten förmlich darin, den Türken eine unermessliche Wildheit anzudichten. Der Türke, so heißt es bei dem Reformator, der sich dabei älterer Vorlagen bedient, sei nicht nur ein Glaubensfeind, sondern eine »Rute und Geißel Gottes«. Sie, die Türken, seien geschickt worden, um die vom Glauben abfallende Christenheit zu strafen, und fungierten – positiv formuliert – als Erinnerung daran, welch wertvolles Kulturgut wir mit dem Christentum besäßen. Der Papst, der Antichrist und der Türke sind bei Luther die deutlichen Zeichen des Weltendes. Dieses grausame Volk von Bösewichten, so der Tenor der vielfach verbreiteten Türkenpredigten, lasse sich nur durch die außerordentliche Gnade und Hilfe Gottes besiegen. 6
    Durch eine bemerkenswerte intellektuelle Spitzfindigkeit zeichnet sich das Traktat des Georg von Ungarn aus: Er leitet nämlich den Begriff »Turci« von den »Theorici«, den Theoretikern ab, die auf subtile und eher gewaltfreie Weise versuchten, die Christen abzuwerben und sie zum Islam zu verführen. 7
    Bis zum Ende des 17. Jahrhunderts dominiert das Bild des furchterregenden Türken in Europa. Spätestens nach der erfolglosen Belagerung Wiens weicht dieses Bild des gefürchteten Orientalen eigenen Überlegenheitsgefühlen: Der einst als grausam dargestellte Türke wird vielfach in Opern und Theatern zur Figur des Gespötts. In etwas harmloseren Darstellungen agiert er als Exot; der Orient bedient oft spießbürgerliche Sexualphantasien. In der aufkommenden Werbeindustrie ist im ausgehenden 19. Jahrhundert ein anderes Türkenbild zu sehen, diesmal aber im Modus der Idealisierung. Hier wird besonders in der Tabakwerbung der Türke im traditionellen Fez, aber im Gesellschaftsanzug als Edelmann vorgeführt.
    Spätestens seit den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts mit den nunmehr engeren Kontakten sind diese historisch zwischenBarbarisierung und Idealisierung oszillierenden Bilder weitestgehend in den Hintergrund gerückt und für die Wahrnehmung des Türken in dieser Weise nicht mehr wirksam. Nun, so könnte man meinen, beginnt sich eine objektive Sicht zu bilden. Aber ist das so? Haben wir angemessene Bilder voneinander? Und sind die Türken auch wirklich mittendrin statt nur dabei?
    Die Veränderungen im Zusammenleben von Deutschen und Türken sind in den letzten fünfzig Jahren schneller als ihre sprachlich-bildlichen Niederschläge verlaufen. Von einer einheitlichen oder verbindlichen Wahrnehmung kann – trotz der unsäglichen und diffamierenden Sarrazin-Debatte – glücklicherweise kaum die Rede sein.
    Wie schwierig es fällt, diese differenzierte Wirklichkeit auch angemessen sprachlich und symbolisch wiederzugeben, zeigen die verschiedenen Versuche im Migrationsdiskurs: Der Begriff »Gastarbeiter«, mit dem ihre Großvätergeneration noch unreflektiert bezeichnet wurde, trifft auf heutige türkeistämmige junge Menschen wohl kaum zu; denn weder sind sie Gäste, noch lassen sich insbesondere die Jüngeren türkischer Abstammung schichtspezifisch so einordnen.
    Die Hoffnung auf baldige Rückkehr, die die erste Generation als einen beständigen Selbstbetrug zelebrierte, ist ihnen völlig fremd, genauso wie der Verzicht und die Anspruchslosigkeit, die einst die Elterngeneration
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