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Da geht noch was: Mit 65 in die Kurve (German Edition)

Da geht noch was: Mit 65 in die Kurve (German Edition)

Titel: Da geht noch was: Mit 65 in die Kurve (German Edition)
Autoren: Christine Westermann
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Wochen lang war er jeden Morgen mit dem Warum-tue-ich-das-Gefühl aufgestanden. Und dann war es gut. Mit den vielen Zweifeln. Zu viele, als dass er sie noch länger hätte bändigen mögen. Ausgezweifelt und aufgehört. Nicht zum Jahresende, nicht in drei Wochen, drei Monaten. Nein, heute.
    Morgen, hatte er beschlossen, beginnt ein anderer Tag in einem anderen Leben. In seinem neuen Leben ist er mit Freude Innkeeper, steht morgens in der Küche des Guesthouse, denkt sich Menüs fürs Frühstück aus. Haferflocken mit Sahne, Honig und schottischem Whisky, geschmorte Kuduleber mit Zimtapfelscheiben zu den Rühreiern mit Trüffelöl.

     
    Wir sitzen auf der Terrasse, trinken eiskalten Champagner, essen Käsetörtchen. Gerhard und seine Frau Anna feiern, dass sie sich kennen.
    Das war knapp mit dem Kennenlernen, eine Sache von Minuten. Es war ein Telefonat, das Anna aufgehalten hat. Wäre nicht dieser Anruf ihrer Schwestergewesen – es ging um irgendetwas Belangloses –, hätte Anna just an diesem Vormittag, in dieser Minute den Vertrag mit der Dating-Agentur gelöst und gelöscht. Zu lange hatte sie schon auf den richtigen Mann gehofft, zu viele Abendessen mit merkwürdigen Menschen hinter sich gebracht. An diesem Vormittag, in jener Minute, als Anna mit ihrer Schwester telefonierte, hatte Gerhard Annas Profil bei der Partnerschaftsvermittlung entdeckt und ihr eine E-Mail geschickt.
    Einer wie Gerhard auf Partnersuche im Internet. Fast undenkbar. Aber eben nur fast. Zwei Jahre nach dem Tod seiner Frau war er das Alleinsein leid, wollte aber nur einen einzigen Versuch wagen. Ohne großen Optimismus eigentlich, eher aus Neugier, aus Interesse, ob dieses technische Medium Computer funktionieren kann, wenn es um Menschen, nicht um Zahlen geht.
    Als Anna den Dating-Vertrag löschen wollte, sah sie Gerhards Eintrag. Ein letztes Mal, beschloss sie. Ein letztes Mal versuche ich es noch. Vor dem geplanten Abendessen lud sie ihn auf ein Glas Wein bei sich zu Hause ein. Das schlug er aus, Restaurantbesuch, sonst nichts. Nach zwei Stunden lieferte er sie an ihrer Haustür ab.
    Das war’s. Dachte Anna.
    Zwei Tage später eine SMS , ob er sie zu Hause, bei sich, am Ozean, zum Essen einladen dürfe. Er durfte. Eine Woche nachdem Anna ihren Dating-Service hatte kündigen wollen, nach einem formellen Dinner, nach einer SMS und einem Abendessen bei Sonnenuntergang, zog Anna bei Gerhard ein. Versetzte damit vier erwachsene Menschen in Panik: die beiden Söhne vonAnna, Sohn und Tochter von Gerhard. Die waren sich, obwohl einander unbekannt, einig: Vater/Mutter ist wahnsinnig geworden.
    Sind sie nicht.
    Höchstens wahnsinnig glücklich.
    Er mit 64, sie mit 61.
    Kalter Champagner und Käsetörtchen markieren jetzt jenen Tag, an dem durch einen vorschnellen Tastendruck alles auch ganz anders hätte kommen können.

     
    Wieder ein Abendessen bei Anna und Gerhard. Mit am Tisch Louis, Annas ältester Sohn, und seine beiden Kinder. Seine Frau hat ihn vor ein paar Monaten verlassen.
    Ein neuer Mann, die Lust auf neues Glück. Anja und Christie, die beiden Kinder, werden hin- und hergeschoben. Eine Woche beim Vater, eine bei der Mutter. Es wird nicht darüber geredet. Auch nicht darüber, warum so etwas passiert. Warum sich ein neuer Mensch anfühlt, als sei man wieder lebendig. Was denken Kinder, die neun und zwölf Jahre alt sind, wenn Vater und Mutter sich trennen? Ich glaube nicht an die Nullachtfünfzehn-Psychoerklärung, Kinder fühlten sich schuldig.
    Sie fühlen sich verantwortlich, ja. Zuständig dafür, die Eltern wieder zusammenzubringen. Schuldig fühlen sie sich höchstens, wenn sie das nicht schaffen. Aber sie wissen nicht, dass sie das gar nicht schaffen können.
    Wir reden über alles Mögliche, aber das Ungesagte wabert im Raum. Vielleicht gerade deshalb schleicht sich das Thema Heirat, Glück ins Gespräch. Anja, dieZwölfjährige von Louis, hat die Augen weit aufgerissen, hört beinahe atemlos zu. Als sie gefragt wird, wann sie glaubt, heiraten zu wollen, sagt sie wie aus der Pistole geschossen: in neun Jahren. Dann ist sie 21. »Nur über meine Leiche«, sagt ihr Vater leise.
    Mit 21. Früh finden wir Erwachsenen das. Viel zu früh. Für Anja scheint es bis dahin noch eine halbe Ewigkeit, neun endlose Jahre. Und 21, das ist für sie schon fast alt, zumindest aber sehr erwachsen. Ich habe noch mit 19 gedacht, dass das Leben spätestens mit 40 so gut wie vorbei ist.
    Jetzt bin ich 65, und wenn ich an 19 denke, fällt mir
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