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Da geht noch was: Mit 65 in die Kurve (German Edition)

Da geht noch was: Mit 65 in die Kurve (German Edition)

Titel: Da geht noch was: Mit 65 in die Kurve (German Edition)
Autoren: Christine Westermann
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orthopädischen Schusters.
    Ich erstarre, gehe rückwärts aus dem Laden.
    Bin stumm, entziehe meinem Zorn die Stimme.
    Warum eigentlich?
    Weil es sich dort, in dem Laden, nicht nach Zorn anfühlt? Jedenfalls nicht sofort?
    Sondern erst jetzt, Monate später.
    Und warum erst jetzt?

4
    E rst prüft die resolute Frau eingehend den Inhalt meines Einkaufswagens. Dann packt sie mich strahlend wie eine alte Vertraute am Ärmel: »Wir sind uns ja so ähnlich.«
    Noch weiß ich nicht, was meine Leberwurst mit dem Honig in ihrem Einkaufswagen gemein hat. Sie ist sich da wohl auch nicht mehr ganz so sicher, Zweifel haben sie beschlichen, sie tritt die Flucht nach vorn an: »Sie sind es doch, oder?« Sie hätte die Frage auch variieren können, zum Beispiel »Sind Sie nicht Christine Westermann?« oder »Haben Sie noch ein Zimmer für mich frei?« oder »Wo haben Sie denn den Herrn Alsmann gelassen?«.
    Sind Sie nicht Christine Westermann? Von der Sache her richtig, vom Gefühl her stille Pein.
    Das ist Alltag: Wildfremde Menschen kennen mich gut. Glauben, mich gut zu kennen, weil sie mich seit Jahren im Fernsehen erleben. Und in mir etwas sehen, was mir noch gänzlich unbekannt ist. Im Fall der Supermarktfrau ist es unser Vater. Also ihrer und meiner. Die sind sich total ähnlich, findet sie. Mein Vater, sagt sie stolz, war auch so ein Kämpfer wie Ihrer. Dessen ist sie sich sicher, seit sie in einer TV -Dokumentation zum Thema Ahnenforschung ein paar Details aus der Biografie meines Vaters erfahren hat.

    Es fällt mir schwer, meinen Zorn zu unterdrücken. Ich will nicht, dass mein Vater für einen Vergleich mit einem Unbekannten herhalten muss. Sie hat keine Ahnung, wer er war, wie er war.
    Wie nahe, wie schamlos nahe darf man einem Menschen rücken, nur weil er ein Fernsehgesicht hat?
    »Sie sind doch die Frau Westermann, oder?«
    Der Mann am Gepäckband in einem auswärtigen Flughafen stößt seine Frau an, ich nicke pflichtschuldig. »Siehste, Mutti«, freut sich der Mann mit leichtem Triumph in der Stimme, »hab ich dir doch gleich gesagt.« Und geht weiter. Wie im Museum, von einem Bild zum anderen. Mal gucken, ob er noch eins mit Namen kennt.
    Es gibt da noch die Distanzierten, die es mit einem geraunten »Westermann« oder » WDR « oder »Zimmer frei« versuchen, in der sicheren Erwartung, dass man überrascht den Kopf in ihre Richtung drehen wird. Dann lächeln sie ein stolzes Hallo. Ich gebe ihnen ein schiefes zurück.
     
    Im Theater in der Pause. Ich stiere in die Ferne, bin mit meinen Gedanken bei den grandiosen Schauspielern, beim Stück, bei Dostojewski und seinem Idioten, halte mich abseits. Hilft nichts.
    »Fahren Sie in diesem Jahr auch wieder nach Südspanien? Ist schön da, oder? Mein Mann und ich fahren schon seit siebenundzwanzig Jahren hin, wir haben Sie im letzten Urlaub dort an der Strandbar gesehen. Die haben sich ja jetzt vergrößert, wussten Sie das schon?«
    Das ist eine brutalstmögliche Rückholaktion, von Dostowjewskis Russland in das sommerliche Andalusien, ohne Zwischenstopp.

    Ich gucke entgeistert, erlaube mir, nichts zu sagen.
    Fällt mir in diesem Augenblick leicht. Aber später am Abend gräme ich mich. Hätte ich dieser Dame mit einem Urlaubsplausch nicht eine Freude gemacht, gehört das nicht zum Dienst am Kunden?
    Was das Kundengespräch angeht, gibt es tatsächlich gute und schlechte Tage.
    Gute sind die, an denen ich auf das »SindSienicht« ein fröhliches Kopfnicken zurückschicken kann.
    Schlechte jene, an denen ich fürchten muss, dass mein Gesicht nicht mitspielen mag und es seinen Ärger unverhohlen zeigen will. Wenn ich mich nämlich aus Gründen, die sehr persönlich sind und keinen Fremden etwas angehen, vielleicht sehr klein und mies fühle. Dann sind Erkennungsblicke nur schwer auszuhalten. Man ist ihnen schutzlos ausgeliefert. Sie tun fast körperlich weh, weil die äußere Haut so dünn ist. Man sich nackt fühlt. Na ja, fast.
     
    Manchmal zieht man sich auch ohne Not vor vielen Leuten aus.
    Ich kaufe Unterwäsche. Nicht im feinen Dessousladen, in einem Allerweltskaufhaus. Ich gucke auch nicht bei Petit, eher bei den handfesten Größen. So eine Größe 44 sieht, um ehrlich zu sein, auf einem Bügel gewaltig aus. Ich suche mir ein halbes Dutzend trotz Größe halbwegs liebreizend anzuschauende Teile aus. Gucke mich nach einer einsamen Kasse um, damit die Slips ohne größeres Aufsehen in die Tüte kommen. Ich habe nicht mit der freundlichen Verkäuferin gerechnet,
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