Cypherpunks
das ist schon ein Problem. Allerdings führt das noch nicht zu massenhafter Überwachung; es begünstigt nur das gezielte Ausspionieren der Computer bestimmter Leute. Trotzdem kann die Kryptografie das Problem massenhafter Überwachung lösen, und gerade sie stellt eine Bedrohung der globalen Zivilisation dar. Lauschangriffe auf Einzelne sind nicht die Gefahr.
Trotzdem habe ich den Eindruck, dass wir es, wie Jérémie schon gesagt hat, mit wirklich gewaltigen wirtschaftlichen und politischen Kräften zu tun haben. Das wahrscheinlichste Ergebnis dürfte daher sein, dass wir infolge des rasanten Effizienzzugewinns der Überwachungstechnologien verglichen mit der Bevölkerungsentwicklung langsam bei einer globalen totalitären Überwachungsgesellschaft enden werden – mit totalitär meine ich total überwacht. Womöglich werden die letzten freien Menschen dann nur noch diejenigen sein, die sich mit kryptografischen Mitteln gegen die totale Überwachung zur Wehr setzen können, und außerdem die wenigen, die komplett vom Netz getrennt sind, in Höhlen geflüchtete Neo-Ludditen oder traditionelle Stämme, denen es vollständig an der Effizienz der modernen Wirtschaft mangelt und die daher auch nur sehr beschränkt handlungsfähig sind. Natürlich kann sich jeder vom Internet fernhalten, aber dann ist es schwer, irgendeinen Einfluss zu haben. Wer es tut, beraubt sich seiner eigenen Einflussmöglichkeiten. Es ist dasselbe wie bei Handys: Du kannst dich auch gegen ein Mobiltelefon entscheiden, aber damit verminderst du deinen Einfluss. Auf diesem Weg kommt man nicht voran.
JÉRÉMIE: Ich bin überzeugt, aus einer marktwirtschaftlichen Perspektive hat der Schutz der Privatsphäre einen Markt, der noch ziemlich unerschlossen ist, vielleicht werden Unternehmen also einen wirtschaftlichen Anreiz zur Entwicklung von Werkzeugen sehen, mit denen die einzelnen Nutzer die Verfügungsgewalt über ihre Daten und Mitteilungen behalten können. Vielleicht können wir das Problem ja auf diesem Weg lösen. Ob das schon für sich genommen ausreichen kann, da bin ich mir nicht sicher, aber es könnte sich so entwickeln, wir wissen es vielleicht nur noch nicht.
JULIAN: Kryptografie wird überall sein. Sie wird überall von Großunternehmen eingesetzt, die immer mehr vernetzten Stadtstaaten ähneln. Wenn man an Kommunikationswege im Internet denkt – an schnelle transnationale Geldflüsse, die Kommunikation transnationaler Unternehmen, die Vernetzung von Unternehmensabteilungen –, dann wird all das über unsichere Kanäle abgewickelt. Das ist wie ein Organismus ohne Haut. Während die Grenze zwischen Unternehmen und Staaten verschwimmt – wobei jedes Netzwerk mit weltweitem Einfluss um Vorteile wetteifert –, stehen ihre Kommunikationsflüsse opportunistischen Angriffen, konkurrierenden Staaten und anderen offen. Daher werden neue Netzwerke geschaffen, die auf dem Internet aufbauen, Virtual Private Networks, also Privatnetze im Internet, die mittels Verschlüsselung vor Spähversuchen abgeschottet werden. Dadurch gewinnt die Kryptografie eine Machtbasis in der Industrie, die verhindert, dass sie verbannt wird.
Blackberry-Handys zum Beispiel haben ein integriertes Verschlüsselungssystem zur Nutzung innerhalb des Blackberry-Netzes. Blackberry, die kanadische Firma, die sie baut (sie hieß bis vor kurzem noch Research in Motion oder RIM), kann die Kommunikation normaler Nutzer entschlüsseln und hat Rechenzentren unter anderem in Kanada und Großbritannien. So hat die anglo-amerikanische Nachrichtendienstallianz weltweit Zugriff auf die Kommunikation zwischen Blackberry-Geräten. Allerdings nutzen große Unternehmen die Geräte mit Verschlüsselungen, die sicherer sind. Damit hatten westliche Regierungen gar kein Problem, doch dann wurden die Geräte immer stärker auch von Privatpersonen genutzt, und die politischen Reaktionen dagegen sind dann genauso aggressiv ausgefallen wie im Ägypten Mubaraks. 71
Ich glaube, die einzig wirksame Verteidigung gegen das kommende Überwachungsregime besteht darin, eigene Schritte zum Schutz der Privatsphäre zu unternehmen, denn den Datenkraken, die heute alles abgreifen können, fehlt jeder Anreiz zur Selbstbeschränkung. Man könnte eine historische Analogie zur Verbreitung des Händewaschens ziehen. Bevor immer mehr Menschen von den Vorteilen der Handhygiene überzeugt waren, musste erst die Keimtheorie allgemein anerkannt und popularisiert werden. Dann musste man den Menschen auch die Angst vor
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