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Cyber City

Cyber City

Titel: Cyber City
Autoren: Greg Egan
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Mensch verwirft eine Idee, ohne sich zuvor die Mühe gemacht zu haben, sie zu überdenken – kritisch natürlich, ohne Vorurteil. Und wir von der Kirche Des Gottes, Der Keinen Unterschied Macht …«
    Maria deutete mit zwei Fingern auf das Interaktiveo, und es war verschwunden. Sie fragte sich, ob ihre Mutter der Grund für diesen Missionsversuch war – eher unwahrscheinlich. Sie würden sich automatisch an die Angehörigen ihrer neuen Mitglieder heranmachen; wenn sie ihre Mutter gefragt hätten würden sie erfahren haben, daß sie bei der Tochter ihre Zeit verschwendeten.
    Maria startete KAMELAUGE und befahl: »Überarbeite meine Maske! Sie muß dieselben Reaktionen zeigen können wie ich während dieses Dialogs eben.«
    Eine kurze Pause folgte. Maria stellte sich vor, wie die Parameter zur Gewichtung der Synapsenfunktionen im »Nervensystem« der Maske wie Güterwagen auf einem Rangierbahnhof hin- und hergeschoben wurden, während der Lernalgorithmus neue Werte ausprobierte, bis sich die gewünschten Reaktionen einstellten. Sie dachte: Wenn ich so weitermache, dann wird aus dieser Maske irgendwann eine ausgewachsene Kopie. Und was hat es für einen Sinn, sich die lästige Beschäftigung mit dem Krempel in der Mailbox ersparen zu wollen, wenn man am Ende wieder selber derjenige ist, welcher … Ein äußerst beunruhigender Gedanke – aber Masken waren um einige Größenordnungen einfacher als Kopien; sie enthielten nicht mehr Neuronen als ein durchschnittlicher Goldfisch; Neuronen, die überdies viel primitiver organisiert waren als in einem biologischen System. Sich Gedanken über die »Empfindungen« eines solchen Programms zu machen war genauso lächerlich, als hätte man beim Löschen von Reklame Schuldgefühle.
    »Ausgeführt«, meldete sich KAMELAUGE.
    Es war erst acht Uhr fünfzehn. Ein ganzer Tag lag vor ihr, und es war leicht zu erraten, was er bringen würde: nichts als Rechnungen. In den letzten beiden Monaten war Maria ohne einen einzigen Auftrag geblieben; sie hatte die Zeit genutzt, um eine Handvoll Kundensoftware zu schreiben – einfache Verbesserungen, mit denen häusliche Alarmanlagen und elektronische Türsteher auf den neuesten Stand gebracht wurden. Dinge, die jedermann gebrauchen konnte – dachte sie; aber bisher hatte sie noch kein einziges Exemplar verkauft. Einige tausend Leute hatten ihren Eintrag im Bildschirmkatalog abgerufen, doch niemand hatte sich überreden lassen, auch nur ein einziges Programm herunterzuladen. Die Aussicht, an einem weiteren Projekt dieser Art zu arbeiten, war nicht gerade aufregend – aber sie hatte keine andere Wahl. Vielleicht würde sich der Aufwand an Zeit und Arbeit eines Tages bezahlt machen, wenn die allgemeine Rezession vorüber war und die Leute wieder großzügiger mit dem Geld umgingen.
    Jedenfalls brauchte sie erst einmal ein wenig Aufmunterung. Eine halbe Stunde oder so im Autoversum – höchstens bis neun Uhr! – würde ihr die nötige Kraft geben, sich dem Tag zu stellen …
    Andererseits konnte sie auch versuchen, den Kampf zu überstehen, ohne sich ständig zu bestechen – dieses eine Mal wenigstens. Das Autoversum war reine Verschwendung an Geld und an Zeit; ein Hobby, das sie sich leisten konnte, wenn die Geschäfte gut gingen – aber nicht in Zeiten wie diesen.
    Maria machte ihrem Zögern auf gewohnte Weise ein Ende. Sie klinkte sich in den SNV – den Superrechner-Netzverbund – ein, kaufte für fünfzig Dollar Rechenzeit, die ihrem Konto automatisch belastet wurden; nun kam es darauf an, wie sie das investierte Kapital nutzte. Sie zog ihre Datenhandschuhe an und berührte ein Sinnbild auf dem Schirm – das Drahtgittermodell eines Würfels –, und die dreidimensionale Arbeitszone unmittelbar vor dem Bildschirm, deren Begrenzungen von einem schwach leuchtenden holographischen Gitter angezeigt wurden, erwachte zum Leben. Für einen Moment war ihr, als hätte sie die Hand in einen Strudel unsichtbarer Materie eingetaucht: Magnetfelder griffen nach dem Handschuh, drehten ihn hin und her, als Ströme in den Spulen der einzelnen Gelenke zu fließen begannen. Schließlich hatte sich die Steuerelektronik auf die richtigen Werte kalibriert, und in der Mitte der Arbeitszone leuchtete eine Anzeige auf: HANDSCHUHE BETRIEBSBEREIT, BITTE ANZIEHEN.
    Mit einem Finger tippte sie ein anderes Sinnbild an, einen explodierenden Stern über dem Wort FIAT. Der einzige sichtbare Effekt bestand im Erscheinen einer schmalen Menüleiste im Vordergrund der
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