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Cyber City

Cyber City

Titel: Cyber City
Autoren: Greg Egan
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Natürlich wußte sie, daß im Budget des Jahres kein Geld für Reparaturen an Straßen und Kanalisation vorgesehen war, aber der Bruch eines Hauptkanals war ein ernstes Gesundheitsrisiko für das ganze Viertel; sie konnte nicht glauben, daß man ein solches Problem einfach ignorierte.
    Am siebten Tag war der Gestank bereits aus einer Entfernung von einem halben Kilometer so schlimm, daß sie in eine Seitenstraße abbog – entschlossen, einen anderen Weg nach Hause zu finden.
    Diese Gegend von Pyrmont bot einen trostlosen Anblick. Nicht alle Lagerhäuser standen leer, nicht jede Fabrik war verlassen, aber abblätternde Anstriche und verwitternde Ziegel ließen alles öde und elend aussehen. Ein halbes Dutzend Blocks westwärts bog sie wieder ab – und fand sich vor einer üppigen Gartenlandschaft mit Marmorstatuen, Springbrunnen und Olivenhainen wieder, die sich unter wolkenlosem blauen Himmel bis zum Horizont erstreckte.
    Maria beschleunigte, ohne zu überlegen. Für einige Sekunden glaubte sie fast, zufällig in einen Park geraten zu sein – eine versteckte Oase in diesem verfallenen Teil der Stadt, ein gut behütetes Geheimnis, auch wenn es noch so unmöglich war. Dann, als die Illusion zusammenbrach – weil es zu viele unübersehbare Fehler gab und weil es ohnehin nicht sein konnte –, fuhr sie starrsinnig weiter, als könnte sie so die Unvollkommenheiten und die Widersprüche  verschwimmen lassen und aus der Welt schaffen. Gerade noch rechtzeitig bremste sie, schon auf dem schmalen Fußweg am Ende der Sackgasse, das Vorderrad nur Zentimeter von der Mauer eines Lagerhauses entfernt.
    Aus der Nähe war die Wandmalerei nicht sonderlich beeindruckend; deutlich sah man die Pinselstriche, die Perspektive stimmte nicht. Langsam schob Maria sich rückwärts – sie mußte sich nicht weit entfernen, um zu sehen, warum sie genarrt worden war. Aus einem Abstand von vielleicht zwanzig Metern verschmolz der gemalte Himmel tatsächlich mit dem echten; man mußte sich anstrengen, wollte man die Grenzlinie im Auge behalten. Nur mit äußerster Konzentration war der feine Unterschied im Farbton zu erkennen. Es war, als sträubte sich irgendein Untersystem tief in ihrem visuellen Cortex, eine himmelblaue Mauer für unmöglich zu halten – als wäre es lieber bereit, sich der Täuschung zu ergeben. Noch weiter zurück verloren auch Gras und Skulpturen ihr zweidimensionales, gemaltes Aussehen – und an der Ecke, wo sie in die Sackgasse eingebogen war, da paßte wieder alles, war die Illusion perfekt, so daß die breite Allee in der Mitte des Bildes dem gleichen Fluchtpunkt entgegenstrebte wie die jäh endende Straße davor.
    Dies war die richtige Stelle, um das Kunstwerk zu betrachten, und sie blieb eine Weile stehen, das Fahrrad aufgebockt. Der Schweiß in ihrem Nacken war in der Brise angenehm kühl, und langsam begann die Morgensonne zu stechen. Dieser Anblick konnte einen in seinen Bann schlagen, und der Gedanke, wieviel Mühe der oder die Maler sich beim Verschönern ihrer tristen Umgebung gegeben hatten, hatte etwas Ergreifendes. Gleichzeitig fühlte sich Maria getäuscht. Von diesem Bild kurze Zeit genarrt zu werden machte ihr nichts aus. Schlimmer war, daß sie – sosehr sie sich auch bemühte – die Illusion nicht mehr heraufbeschwören konnte. Sie konnte hier stehen und das Kunstwerk bewundern, so lange sie wollte – aber nichts würde auch nur einen Funken jener Freude zurückbringen, die sie empfunden hatte, als sie noch getäuscht worden war.
    Sie wandte sich ab.
     
    Zu Hause packte sie die eingekauften Lebensmittel aus, dann nahm sie das Fahrrad und hängte es an den Haken an der Decke des Wohnzimmers. Ihr kleines Reihenhaus war hundertvierzig Jahre alt und hatte die Form eines Waschpulverkartons; zwei Geschosse hoch, aber kaum breit genug für eine Treppe. Die Reihe hatte ursprünglich aus acht dieser Häuschen bestanden; vier davon auf der einen Seite waren umgebaut, die Trennmauern entfernt worden, damit ein großes Architekturbüro darin Platz fand. Die drei auf der anderen Seite waren um die Jahrhundertwende abgerissen worden, als man eine Schneise für eine Straße schlug, die nie gebaut worden war. Das letzte Häuschen lag nun unter Denkmalschutz, und Maria hatte es für einen Bruchteil dessen kaufen können, was eine moderne Wohnung kostete. Die Enge und die merkwürdige Raumaufteilung gefielen ihr – wenig Platz, glaubte sie, hieß mehr Kontrolle, weil die Dinge immer in Reichweite waren. Der
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