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Cut

Cut

Titel: Cut
Autoren: Merle Kroeger
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Emmas Halluzination hat sich jetzt auch in deinem Kopf eingenistet.
    Aber er ist nicht nass. Er ist alt. Um seinen Hals trägt er wieder das Fernglas. Charlottes alter Vogelfreund.
    »Danke, dass Sie mich angerufen haben, Herr Doktor Kumar.« Er spricht ein altmodisches Englisch, mit hartem deutschem Akzent. Der Inhalt seiner Worte knallt glasklar in deine Synapsen.
    Du gehst drei Schritte rückwärts, damit du sie beide im Blick hast. Dein Vater hat die Augen gesenkt und betrachtet seine glänzenden Lederschuhe.
    »Madita, du musst mich verstehen«, sagt er leise.
    Was? Was musst du verstehen?
    Er kann dich immer noch nicht ansehen, darum guckt er lieber zu Nick, von dem er sich wahrscheinlich Verständnis erhofft. »Er rief mich vorgestern an und drohte, die ganze Geschichte mit Emma meiner Familie zu erzählen. Ich konnte nicht anders.«
    Nur ist Nick jetzt nicht mehr der wohlerzogene Junge aus gutem Hause. »Sie sind ein feiger Idiot!«, brüllt er und will sich auf Anand stürzen.
    Im letzten Moment kapierst du, dass dies kein Film-Showdown ist. Du ziehst ihn am Ärmel zurück. »Lass ihn, Nick. Denk an die Knarre!«
    Nicks geballte Faust bleibt auf halbem Weg zu Anand in der Luft hängen. Ludwig beobachtet euch schweigend, ohne sich zu rühren. Als wäret ihr Vögel und würdet gerade ein seltenes Ritual vollführen.
    »Meine liebe Madita, bitte hören Sie mir zu.« Seine Stimme klingt leise und schleppend, fast ein bisschen wie Emma. Du musst an Gerd Fröbe denken, in einem alten Schwarzweißfilm, wo er den Kindern Schokoladenigel schenkt und sie dann umbringt. »Ich wollte, ich musste verhindern, dass Sie nach all den Jahren eine Geschichte ans Tageslicht zerren, die man besser vergessen sollte.«
    Jetzt, wo er redet, hast du weniger Angst vor ihm als vorher. Die Art, wie er spricht, aktiviert deinen geschärften Sinn für atmosphärische Störungen in der Psyche. Der alte Mann ist kein Killer, oder jedenfalls nicht mehr. Er macht den Eindruck, als würde er auf ein schwarzes Loch zutreiben. Die Zeit ist gegen ihn.
    »Und damit die Sache mit Kher nicht herauskommt, haben Sie Mehmet Khan umgebracht? Dann den alten Historiker! Und jetzt uns. Nur er darf gehen?«
    Du nickst zu Anand, deinem Vater, ohne ihn wirklich anzugucken. Seine Körperhaltung reicht aus, um dir zu zeigen, dass er nur zu gern den Schauplatz verlassen würde. Aber deine Aufmerksamkeit gilt Ludwig. Er zwinkert mit den Augen, als wären sie zu trocken. Er hat offenbar Mühe, sich auf das zu konzentrieren, was er dir sagen will.
    »Der Journalist. Rahul Klier.« Wieder diese schleppende Stimme. »Unfälle. Alle scheinen plötzlich Unfälle zu haben.« Er macht eine Geste, als wolle er etwas wegwischen. Das ist es.
    »Und Tante Charlotte.«
    Dachtest du, er würde jetzt zusammenbrechen? Deine amateurhafte Psycho-Taktik funktioniert nicht. Er reagiert nur auf das Stichwort.
    »Charlottchen, nur für sie. Ich habe alles nur für sie getan. So lange gewartet. Ihre Mutter«, er blinzelt dich an, »sie hätte alles kaputtgemacht.«
    »Also haben Sie sie kaputtgemacht.«
    Nick macht eine kleine Geste in deine Richtung. Aber du hast keine Angst mehr. Emma hat genug Angst für euch beide gehabt, all die Jahre. In dir braut sich etwas Neues zusammen. Wut. Zerstörungswut. Du willst ihn vernichten. Selbst wenn er zehn Pistolen in der Tasche hat.
    »Und nun war alles umsonst. Charlotte ist tot. Sie haben sie umgebracht. Es gibt zwar keine Beweise, aber ich weiß es, und Sie wissen es auch. Es war kein Unfall. Es ist Ihre Schuld!«
    *
    Der Alptraum aus dem Flugzeug sprang ihm ins Bewusstsein und verflüchtigte sich sofort.
    Sein Kopf war schon wieder so wattig. Er hatte doch hier etwas zu Ende bringen wollen. Ludwig starrte die drei Menschen an, die vor ihm standen. Was machten sie überhaupt hier? Warum ließen sie ihn nicht allein? Er wollte jetzt zu Charlotte fahren. Er wollte ihr den Ring schenken und sie bitten, mit ihm nach Poel zu gehen. Er dachte an die Sandbank mit den Seevögeln. Vögel waren keine Verräter. Wie die Inder damals. Seine Inder. Als sie desertierten, hatte er vor Wut getobt. Er konnte sie nicht einfach gehen lassen. Zum Feind. Alles, was sie wussten, wussten sie von ihm.
    Ludwig hatte den Brief geschrieben, anonym. »Eine Eliteeinheit zur Ausräucherung von Partisanennestern.« Das reichte schon.
    Rajiv Kher, sein Offizierskamerad, zusammen kämpfen bis in den Tod. Kher war kein Deserteur.
    Später, viel später, war er plötzlich in
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