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Cut

Cut

Titel: Cut
Autoren: Merle Kroeger
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klingt auch nicht besonders ruhig.
    »Ich weiß nicht, woran ich ihn erkennen soll. Ich hatte noch nie ein Blind Date!«, flüsterst du über die Schulter. Deine Füße wollen schon wieder weiter nach vorne, du tänzelst auf der Stelle wie ein Hund an der Leine.
    Immer mehr Leute verstopfen den Eingang und versperren dir die Sicht. Du stellst dich auf die Zehenspitzen und reckst den Kopf. Mindestens die Hälfte der Ärzte ist männlich und über fünfzig. Die medizinische Fachwelt ist noch ein großes Stück von der Gleichberechtigung entfernt.
    Plötzlich siehst du ihn. Er ist gerade um die Ecke gekommen, ins Gespräch mit einem Kollegen vertieft. Du weißt sofort, dass er es ist. Es ist eher eine gefühlte Ähnlichkeit als eine, die direkt ins Auge fällt. Ein bisschen enttäuscht suchst du etwas Besonderes an ihm, eine außergewöhnliche Ausstrahlung. Aber er sieht einfach aus wie ein seriöser indischer Geschäftsmann. In Bombay wärst du an ihm vorbeigelaufen, ohne dich einmal umzusehen.
    »Mattie, los, das ist er!« Nick hat ihn auch gesehen und nuschelt von hinten in dein Ohr. Er gibt dir einen sanften Schubs.
    Deine Nervosität ist weg. Auch der Lärm und die ganzen Leute um dich herum sind irgendwie ausgeblendet. Mit angewinkelten Armen schiebst du dich durch die Menge und bleibst direkt vor ihm stehen.
    »Mr. Kumar?«
    Er muss ein Stück zurücktreten, um dich richtig zu sehen. Sein Kollege wird abgedrängt, ruft ihm über die Köpfe der Menge etwas zu und verschwindet.
    Das ist also dein Vater. Die kühle Skepsis eines reichen Mannes, von dem immerzu jemand etwas will, steht ihm ins Gesicht geschrieben. Du beobachtest, wie sich das Erkennen auch bei ihm langsam ins Bewusstsein schleicht. Gespannt wartest du ab, was als Nächstes kommt.
    Dann kommt es. Wütend fährt er dich an. »Bist du verrückt geworden? Mir hier einfach so aufzulauern! Wir waren doch erst für heute Abend verabredet! Wenn dich jemand sieht!« Ohne ein weiteres Wort greift er sich deinen Arm und zieht dich an die Seite, als wärst du ein unartiges kleines Mädchen.
    Ungeduldig schüttelst du die Hand ab, an der ein Ehering mit einem Stein aufblitzt. »Danke der Nachfrage! Ich heiße Madita, und mir geht es gut.«
    Zögernd reicht er dir die Hand, aber sein Blick bleibt distanziert. Unwillkürlich musst du an Hinnarcks spröde Gesten der Zuneigung denken.
    »Guten Tag, Doktor Kumar. Mein Name ist Nikolaus Ostrowski.« Nick ist hinter dir hervorgetreten und ergreift die ausgestreckte Hand, wobei er eine leichte Verbeugung andeutet. Natürlich beherrscht er die hier üblichen Umgangsformen besser als du.
    Dein Vater zuckt zusammen. »Und wer sind Sie, wenn ich fragen darf?«
    »Ich bin Maditas Freund«, lautet Nicks knappe Antwort.
    »Ich verstehe.« Sein Blick wird etwas weniger unruhig und wandert von Nick zurück zu dir. Dann hinunter zu euren Händen, die wie selbstverständlich zueinander gefunden haben. Zwei nackte Hände. Ohne Ringe.

    Anand legte den Hörer auf und zog die dicke Jacke an, ein Geschenk seiner Frau. Er fühlte, wie die Wärme der Daunen sofort auf seinen Körper überging. Deepa hatte ihn damit überrascht am Abend zuvor.
    »Deutschland, da soll es ja noch kälter sein als hier!«
    Sie saß an ihrem Schminktisch und trug das komplizierte Make-up für die Vorstellung auf. Er lag schon im Bett und sah ihr zu. Seit die Tochter aus dem Haus war und sein Sohn studierte, leitete sie eine kleine indische Theatergruppe im Londoner East End. Sie traten bei Hochzeiten und anderen Festlichkeiten auf.
    Einmal im Jahr traf sich die ganze Familie in Bombay, wo seine Mutter mit ihrer Schwester in dem Haus wohnte, das er ihnen gekauft hatte. Seine Frau ging ins Theater, er ging in den Club, und die Kinder trafen sich mit gleichaltrigen Verwandten. Bald würden sie wieder eine Hochzeit feiern. Hunderte von Leuten würden das Haus mit Leben erfüllen. Er konnte zufrieden sein. Bis jetzt.
    Anand war seit dreißig Jahren nicht mehr in Deutschland gewesen. Nach der Hochzeit in Bombay machte er mit dem Geld, das ihm sein Schwiegervater stillschweigend überwiesen hatte, endlich seinen Traum wahr. Eine eigene Praxis in London, wo man als Arzt gutes Geld verdiente, statt sich unterbezahlt in einem indischen Krankenhaus mit den korrupten Behörden herumzuschlagen. Am Anfang war es nicht leicht mit Deepa und den kleinen Kindern, aber der enge Zusammenhalt der indischen Einwanderer half ihnen, über die Runden zu kommen. Deepa hatte
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