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Cryptonomicon

Cryptonomicon

Titel: Cryptonomicon
Autoren: Neal Stephenson
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gefunden hatte, wusste man alles darüber und konnte es mit nichts als einem Stift und einer Papierserviette nach Herzenslust manipulieren. Er sah es an der Kurve der Silberplatten an seinem Glockenspiel, am Kettenbogen einer Brücke und an der mit Kondensatoren gespickten Trommel der Rechenmaschine von Atanasoff und Berry. Tatsächlich auf das Glockenspiel einzuhämmern, die Brücke zusammenzunieten oder auseinander zu klamüsern, warum die Rechenmaschine nicht funktionierte, war weniger interessant für ihn.
    Infolgedessen bekam er schlechte Noten.Von Zeit zu Zeit allerdings vollführte er an der Tafel irgendein Kunststück, von dem sein Professor weiche Knie bekam und den anderen Studenten, die ihn nicht sonderlich mochten, die Luft wegblieb. Das sprach sich herum.
    Gleichzeitig ließ seine Großmutter Blanche ihre ausgedehnten kongregationalistischen Beziehungen spielen und setzte sämtliche Hebel für Lawrence in Bewegung, ohne dass er das Geringste davon ahnte. Ihre Bemühungen waren von Erfolg gekrönt und Lawrence bekam ein obskures Stipendium, das der Erbe einer Hafer verarbeitenden Fabrik in St. Paul gestiftet hatte und dessen Zweck darin bestand, Kongregationalisten des Mittleren Westens für ein Jahr auf eine Ivy-League-Hochschule zu schicken, eine Frist, so dachte man (offensichtlich), die ausreichte, ihren IQ um ein paar entscheidende Punkte anzuheben, aber nicht lange genug war, um sie sittlich zu verderben. So wurde Lawrence Student in Princeton.
    Nun war Princeton eine illustre Hochschule und dorthin zu gehen war eine große Ehre, doch niemand kam dazu, Lawrence, der das nicht wissen konnte, davon in Kenntnis zu setzen. Das hatte positive und negative Folgen. Er akzeptierte das Stipendium mit einer minimalen Andeutung von Dankbarkeit, was den Haferflocken-Mogul erboste. Andererseits passte er sich mühelos an Princeton an, denn es war einfach nur ein anderer Ort. Es erinnerte ihn an die schöneren Ecken von Virginia und außerdem gab es ein paar schöne Orgeln in der Stadt; mit seinen Hausaufgaben allerdings – Problemen der Brückenkonstruktion und der Flankenkrümmung von Zahnrädern – war er weniger glücklich. Wie immer liefen sie irgendwann auf Mathematik hinaus, womit er meistens mühelos fertig wurde. Von Zeit zu Zeit jedoch kam er nicht weiter und das führte ihn zur Fine Hall, dem Sitz der mathematischen Fakultät.
    In der Fine Hall lief ein bunt gemischtes Völkchen, vielfach mit englischem oder europäischem Akzent, herum. Verwaltungstechnisch gesehen gehörten viele dieser Leute gar nicht der mathematischen Fakultät, sondern einer eigenen Einrichtung mit Namen IAS an, was so viel wie Institut für Fortgeschrittene Soundso bedeutete. Aber sie waren alle im selben Gebäude und sie kannten sich alle mit Mathematik aus, sodass die Unterscheidung für Lawrence nicht existierte.
    Nicht wenige dieser Männer gaben sich scheu, wenn Lawrence ihren Rat suchte, andere aber waren zumindest bereit, ihn anzuhören. So war er zum Beispiel auf eine Methode gekommen, wie sich ein schwieriges Zahnformproblem lösen ließ, das nach der konventionellen Lösungsmethode jede Menge absolut vernünftiger, jedoch ästhetisch unbefriedigender Annäherungen erforderte. Lawrences Lösung würde exakte Ergebnisse liefern. Ihr einziger Nachteil bestand darin, dass eine Trillion Menschen mit Rechenschiebern eine Trillion Jahre brauchen würden, um sie zu ermitteln. Lawrence arbeitete an einem radikal anderen Ansatz, der, wenn er funktionierte, diese Zahlen auf jeweils eine Billion senken würde. Leider war Lawrence außerstande, irgendjemanden in der Fine Hall für etwas so Prosaisches wie Zahnradgetriebe zu interessieren, bis er sich plötzlich mit einem energischen Briten anfreundete, dessen Namen er prompt vergaß, der sich jedoch in letzter Zeit selbst viel mit algebraischer Zahnradentwicklung beschäftigt hatte. Dieser Mensch versuchte, ausgerechnet, eine mechanische Rechenmaschine zu bauen – speziell eine Maschine, mit der sich bestimmte Werte der Riemannschen Zeta-Funktion
berechnen ließen, wobei s eine komplexe Zahl ist.
    Lawrence fand diese Zeta-Funktion nicht mehr und nicht weniger interessant als jedes andere mathematische Problem, bis sein neuer Freund ihm versicherte, dass sie schrecklich wichtig sei und dass einige der besten Mathematiker der Welt schon seit Jahrzehnten daran knabberten. Die beiden blieben schließlich bis drei Uhr morgens wach und fanden die Lösung von Lawrences Zahnproblem. Die
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