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Cryptonomicon

Cryptonomicon

Titel: Cryptonomicon
Autoren: Neal Stephenson
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parallelen Reihen einem breiten flachen Kasten mit komprimierter Luft. Sämtliche Pfeifen eines bestimmten Tons – jedoch unterschiedlicher Registerzugehörigkeit – waren entlang einer Achse aufgereiht. Sämtliche Pfeifen eines bestimmten Registers – jedoch unterschiedlicher Tonhöhe – waren entlang der anderen, senkrecht dazu stehenden Achse aufgereiht. Unten in dem flachen Kasten mit Luft befand sich also ein Mechanismus, der zum richtigen Zeitpunkt Luft zu den richtigen Pfeifen beförderte. Wenn eine Taste oder ein Pedal gedrückt wurde, erklangen sämtliche Pfeifen, die den entsprechenden Ton erzeugen konnten, sofern ihre Registerzüge herausgezogen waren.
    Technisch gesehen funktionierte das Ganze auf eine Weise, die vollkommen klar, einfach und logisch war. Lawrence hatte immer angenommen, dass die Maschine mindestens so kompliziert sein müsse wie die intrikateste Fuge, die sich darauf spielen ließ. Nun hatte er erfahren, dass eine einfach konstruierte Maschine Ergebnisse von unendlicher Komplexität liefern konnte.
    Registerzüge wurden selten einzeln verwendet. Meist wurden sie zu Kombinationen zusammengefügt, die darauf angelegt waren, sich die verfügbaren Obertöne zunutze zu machen (noch mehr spannende Mathematik!). Bestimmte Kombinationen wurden immer wieder verwendet – für das stille Offertorium beispielsweise viele Blockflöten unterschiedlicher Länge. Die Orgel verfügte über eine raffinierte Vorrichtung, die Koppel hieß und es dem Organisten ermöglichte, eine bestimmte Kombination von Registern – Register, die er selbst ausgewählt hatte – zum Erklingen zu bringen. Er drückte eine Taste, und von Luftdruck angetrieben schossen mehrere Registerzüge gleichzeitig aus dem Spieltisch, und in diesem Augenblick wurde die Orgel zu einem ganz anderen Instrument mit völlig neuen Klangfarben.
    Im nächsten Sommer wurden sowohl Lawrence als auch Alice, seine Mutter, von einem entfernten Verwandten kolonisiert – einem gewaltigen Fiesling von einem Virus. Lawrence kam mit einer kaum wahrnehmbaren Tendenz davon, einen seiner Füße nachzuziehen. Alice endete in einer eisernen Lunge. Später, außerstande, richtig zu husten, bekam sie Lungenentzündung und starb.
    Lawrences Vater Godfrey gab unumwunden zu, dass er sich der nun auf seinen Schultern ruhenden Last nicht gewachsen fühlte. Er trat von seinem Posten an dem kleinen College in Virginia zurück und zog mit seinem Sohn in ein kleines Haus in Moorhead, Minnesota, Tür an Tür mit Bunyan und Blanche, die sich dort ebenfalls niedergelassen hatten. Später bekam er eine Stelle als Lehrer an einer normalen Schule in der Nähe.
    An dieser Stelle schienen sämtliche verantwortungsvollen Erwachsenen in Lawrences Leben stillschweigend zu der Übereinkunft zu gelangen, dass die beste – oder jedenfalls die einfachste – Methode, ihn zu erziehen, darin bestand, ihn in Frieden zu lassen. Bei den seltenen Gelegenheiten, bei denen Lawrence um das Eingreifen eines Erwachsenen in sein Leben bat, stellte er normalerweise Fragen, die kein Mensch beantworten konnte. Mit sechzehn, als er dem örtlichen Schulsystem nichts Herausforderndes mehr abgewinnen konnte, ging Lawrence Pritchard Waterhouse aufs College. Er schrieb sich am Iowa State College ein, das unter anderem Standort eines ROTC war, eines Ausbildungskorps für Reserveoffiziere der Marine, in das er zwangsweise aufgenommen wurde.
    Das Ausbildungskorps des IOWA State College hatte eine Musikkapelle und freute sich zu hören, dass Lawrence sich für Musik interessierte. Da es schwierig war, an Deck eines Kriegsschiffes zu exerzieren und dabei Orgel zu spielen, gab man ihm ein Glockenspiel und zwei Schlegel.
    Wenn er nicht gerade mit lautem Dingdong auf dem Schwemmland des Skunk River hin und her marschierte, studierte er im Hauptfach Maschinenbau. Auf diesem Gebiet schnitt er am Ende schlecht ab, weil er sich einem bulgarischen Professor namens John Vincent Atanasoff und dessen Doktoranden Clifford Berry angeschlossen hatte, die sich mit dem Bau einer Maschine beschäftigten, welche die Lösung einiger besonders öder Differentialgleichungen automatisieren sollte.
    Lawrences Grundproblem bestand darin, dass er faul war. Er war dahinter gekommen, dass sich alles stark vereinfachte, wenn man wie Superman mit seinem Röntgenblick einfach durch das kosmetische Drumherum hindurchstarrte und das zugrunde liegende mathematische Gerüst sah. Sobald man die mathematische Grundlage eines Phänomens
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