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Cryptonomicon

Cryptonomicon

Titel: Cryptonomicon
Autoren: Neal Stephenson
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metallisches Silber dafür erhalten.
    Wenn nun China nicht gerade mitten dabei wäre, vom japanischen Kaiserreich systematisch ausgeweidet und gevierteilt zu werden, würde der Staat wahrscheinlich offizielle Erbsenzähler herumschicken, um den Überblick darüber zu behalten, wie viel Silber tatsächlich in den Banktresoren vorhanden ist, und alles würde ruhig und geordnet vonstatten gehen. Doch wie die Dinge liegen, sorgt bei diesen Banken nur eines für Ehrlichkeit, nämlich die anderen Banken.
    Und das funktioniert folgendermaßen: Während des normalen Geschäftsablaufs gehen große Mengen Papiergeld über die Schalter (beispielsweise) der Chase Manhattan Bank. Von dort werden sie in ein Hinterzimmer gebracht, sortiert und in Geldkisten (zirka sechzig Zentimeter im Quadrat und knapp einen Meter tief, mit Seilschlaufen an den vier Ecken) geworfen, wobei sämtliche Noten (beispielsweise) der Bank of America in eine und sämtliche Noten der City Bank in eine andere Kiste kommen. Am Freitagnachmittag holt man dann Kulis. Jeder Kuli oder jedes Kulipaar hat natürlich seine riesenlange Bambusstange dabei – ein Kuli ohne seine Stange ist wie ein China-Marine ohne sein vernickeltes Bajonett – und steckt diese Stange durch die Seilschlaufen an den Kistenecken. Dann schultert jeder Kuli ein Stangenende, sodass die Kiste hochgehoben wird. Die beiden müssen sich koordiniert bewegen, sonst fängt die Kiste an herumzuschlingern, und alles gerät aus dem Gleichgewicht.Während sie nun ihrem Ziel – der jeweiligen Bank, deren Name auf die Noten in ihrer Kiste gedruckt ist – entgegensteuern, singen sie miteinander und setzen im Takt der Musik die Füße aufs Pflaster. Die Stange ist ziemlich lang, sodass sie in großem Abstand zueinander gehen und laut singen müssen, um einander zu hören, und natürlich singt jedes Kulipaar auf der Straße sein eigenes Lied und versucht, alle anderen zu übertönen, um nicht aus dem Tritt zu geraten.
    So springen also zehn Minuten vor Geschäftsschluss am Freitagnachmittag die Türen vieler Banken auf und es kommen wie beim Vorspiel zu einem blöden Broadway-Musical singend zahlreiche Kulipaare hereinmarschiert, setzen krachend ihre Kisten mit zerfledderter Währung ab und verlangen Silber dafür. Alle Banken treiben dieses Spielchen miteinander – manchmal sogar am selben Freitag, besonders zu Zeiten wie dem 28. November 1941, wo selbst einem Stoppelhopser wie Bobby Shaftoe einleuchtet, dass es besser ist, Silber anstatt altes zerschnittenes Zeitungspapier zu besitzen. So kommt es, dass Bobby Shaftoe und die anderen Marines auf dem Lkw, obwohl die üblichen Fußgänger, Essenskarrenbesitzer und wütenden Sikh-Polizisten bereits aus dem Weg gehastet sind und sich platt an die Wände der Clubs, Läden und Bordelle an der Kiukiang Road drücken, das Kanonenboot, das ihr Ziel ist, wegen dieses Waldes aus mächtigen, waagrechten Bambusstangen nach wie vor nicht einmal sehen können. Und wegen der wilden, pulsierenden pentatonischen Kakophonie des Kuligesangs können sie ihre eigene Hupe nicht hören. Hier handelt es sich nicht einfach um den regulären Freitagnachmittags-Geldverkehr im Bankenviertel von Schanghai. Hier geht es um eine endgültige Abrechnung, ehe die ganze östliche Hemisphäre in Brand gerät. In den nächsten zehn Minuten werden die Millionen von Versprechen, die auf diese Scheißhauspapierstücke gedruckt sind, allesamt gehalten oder gebrochen werden; richtige Silber- und Goldstücke werden den Besitzer wechseln oder nicht. Es handelt sich um eine Art monetäres Jüngstes Gericht.
    »Herrgott, ich kann doch nicht -« brüllt Private Wiley.
    »Der Captain hat gesagt, wir sollen nicht anhalten, scheißegal warum«, erinnert ihn Shaftoe. Er befiehlt Wiley nicht , die Kulis zu überfahren, sondern erinnert ihn lediglich daran, dass sie einiges werden erklären müssen, falls Wiley es unterlässt, die Kulis zu überfahren – kompliziert wird das Ganze noch durch die Tatsache, dass der Captain sich unmittelbar hinter ihnen befindet, in einem Wagen voller China-Marines mit Maschinenpistolen. Und so wie der Captain sich wegen dieser Station-Alpha-Geschichte aufgeführt hat, ist ziemlich klar, dass bereits erste Striemen seinen Hintern zieren, verabreicht von irgendeinem Admiral in Pearl Harbor oder sogar (Trommelwirbel) den Marine Barracks, Eight and Eye Streets Southeast, Washington, D.C.
     
     
     
    Shaftoe und die anderen Marines haben Station Alpha immer als
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