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Cryer's Cross

Cryer's Cross

Titel: Cryer's Cross
Autoren: Baumhaus
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Rücken von Blut und Eiter troff, nachdem ihn der Direktor ausgepeitscht hatte. Er erzählt, dass in der nächsten Nacht Pieres bester Freund Samuel zum Auspeitschen hinausgeschickt wurde und dass sich Piere zu dem kleinen weißen Schuppen schlich, um durch den Türspalt zu schauen, obwohl er wusste, dass er wieder bestraft werden würde, wenn man ihn erwischte. Aber das war ihm egal. Er wollte für seinen Freund da sein.
    Piere beobachtete, wie der Direktor, Horace Cryer, die Peitsche immer wieder auf Samuels Rücken und Schenkel klatschen ließ, während dieser sich mit gewölbtem Rücken über das Pult krümmte. Er sah, wie die Schwellungen auf Samuels Rücken größer und röter wurden, wie sich das Blut unter der Haut sammelte und beim nächsten Hieb hervorspritzte, durch die Luft und an die Wände.
    Piere zählte, denn er wusste, dass Mr Cryer nur zwei Arten der Bestrafung kannte. Fünfunddreißig Hiebe für kleinere Vergehen und hundert für alles andere … und manchmal auch völlig grundlos.
    Als Mr Cryer nach fünfunddreißig Hieben nicht aufhörte, krampfte sich Pieres Magen zusammen. Nach ein paar weiteren Hieben stieß Samuel einen markerschütternden Schrei aus, der Mr Cryer nur noch fester zuschlagen ließ. Piere sah, wie Samuels Ellbogen vom Tisch glitt, er mit Kopf und Brust aufschlug. Auf seiner Unterlippe war Blut. Er sah, wie sein Freund die Augen verdrehte und dann schloss.
    Verzweifelt riss Piere an seinem Hemd, wodurch seine eigenen Wunden wieder aufrissen, dann stolperte er blindlings davon, zurück in sein Bett.
    Er sah Samuel nie wieder.
    Hector mustert Kendall. Sie hat die Finger in die Laken gekrallt und starrt ihn an. Diese unheimlichen Zahlen, fünfunddreißig und einhundert. Das Pult, an dem die Jungen verprügelt wurden … Sie versucht, etwas zu sagen, hustet, trinkt einen Schluck, und versucht es noch einmal.
    »Das ist eine schreckliche Geschichte«, flüstert sie. »Ist sie wahr?«
    Hector nickt. »Ja. Es tut mir leid, aber ich musste sie erzählen.«
    »Ist dieser Ort … ist das da, wo ich war?«
    »Ja.«
    Sie beißt sich auf die Lippe und denkt an Samuel.
    »Sie haben etwas von einem Tisch gesagt.«
    Hectors Augen glänzen, und sein Gesicht verzieht sich vor Ärger und Reue. Er nickt.
    »Alle Pulte in eurem Klassenzimmer kommen aus der Besserungsanstalt. Der Staat hat sie herüberbringen lassen, als eure Schule eröffnet wurde.«
    Kendall starrt ihn nur an.
    »Und als Jacián mir erzählt hat, was du sagtest, als er dich gefunden hat … ich bin nicht abergläubisch«, sagt er und wedelt bekräftigend mit dem Finger. »Aber ich weiß, dass sie die Tische lieber dort hätten verrotten lassen sollen. An diesem Ort gab es etwas Böses. Etwas Böses im Herzen von Horace Cryer.«
    Der alte Mr Greenwood sitzt mit versteinertem Gesicht da, als könne er es kaum ertragen, zuzuhören, doch er widerspricht nicht.
    »Mr Cryer hat uns immer wieder auf diesem Tisch ausgepeitscht«, erzählt Hector. »Viele unserer Freunde hat er ermordet. Wir wussten nicht, was er mit den Leichen gemacht hat. Wir durften nicht durch das Tor hinaus. Aber jetzt wissen wir es … jetzt wissen wir es. Da sind so viele Kreuze.«
    Hector zieht ein Taschentuch aus der Manteltasche und wischt sich über das Gesicht, die Trauer überwältigt ihn.
    »Du musst das verstehen, wir hatten niemanden. Wir waren entweder Waisen oder als hoffnungslose Straftäter aufgegeben worden, so wie ich. Wer hätte uns schon geglaubt? Wir sprachen nie darüber, erzählten es niemandem. Wir wollten es einfach nur vergessen.« Er tupft sich die Augenwinkel. »Wir wollten ein neues Leben anfangen, wenn wir hinauskämen.«
    Kendall schweigt entsetzt, während sie versucht, zu verstehen. Die Seelen der toten Jungen … in das Pult hineingeprügelt? Dort gefangen, zornig, ihr Werk unvollendet … eingelagert all die Jahre? Und sie konnten nur befreit werden, wenn sie einen Körper fanden, den sie besetzen konnten? Das war unmöglich. Das würde ihr niemand glauben. Doch hier saßen zwei der angesehensten Menschen von Cryer’s Cross, und keiner von ihnen leugnete es.
    »Wir wissen von der Stimme«, sagt der alte Mr Greenwood plötzlich. Dann sieht er Kendall abschätzend an. »Wenn du das jemandem erzählst, werde ich es leugnen, aber ich habe das Flüstern auch gehört.«
    Kendall reißt die Augen auf. »Wirklich?«
    Er nickt und sieht wieder zu Boden, als ertrage er es nicht, ihr in die Augen zu blicken.
    »Ich wusste nicht, woher es kam.
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