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Cry Baby - Scharfe Schnitte: Thriller (German Edition)

Cry Baby - Scharfe Schnitte: Thriller (German Edition)

Titel: Cry Baby - Scharfe Schnitte: Thriller (German Edition)
Autoren: Gillian Flynn
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Mund.
    »Gayla, ich brauche Zucker!«, brüllte Amma.
    »Nimm die Glocke, Amma«, sagte meine Mutter. Sie aß auch nichts.
    Gayla kam mit einer Schale Zucker herein und streute einen großen Löffel über Ammas Schinken und Tomatenscheiben.
    »Ich will selbst«, heulte Amma.
    »Lass Gayla es machen«, meinte meine Mutter. »Du nimmst zu viel.«
    »Bist du traurig, wenn John stirbt?«, fragte Amma und lutschte an einer Scheibe Schinken. »Wann wärst du trauriger – wenn John stirbt oder ich?«
    »Keiner soll sterben«, sagte ich. »In Wind Gap sterben ohnehin zu viele Menschen.«
    »Hört, hört«, bemerkte Alan seltsam feierlich.
    »Gewisse Leute sollten sterben. John soll sterben«, sagte Amma. »Selbst wenn er sie nicht getötet hat, soll er sterben. Er ist sowieso am Ende, jetzt wo seine Schwester tot ist.«
    »Nach dieser Logik müsste auch ich sterben, weil auch meine Schwester tot ist.« Noch ein Maiskorn. Amma musterte mich.
    »Mag sein. Ich hoffe es aber nicht, weil ich dich mag. Was meinst du?«, wandte sie sich an Adora. Mir fiel auf, dass sie sie nie mit Namen ansprach, weder Mutter, Momma noch Adora zu ihr sagte.
    »Marian ist vor langer Zeit gestorben, und ich glaube manchmal, wir hätten alle mit ihr sterben sollen«, sagte meine Mutter müde. Doch dann leuchtete ihr Gesicht auf: »Aber das sind wir nicht. Und unser Leben geht weiter, nicht wahr?« Glöckchenklingeln, Teller einsammeln, Gayla schlich um den Tisch wie ein altersschwacher Wolf.
    Blutorangensorbet zum Nachtisch. Meine Mutter verschwand diskret in der Speisekammer und kehrte mit zwei schlanken Kristallfläschchen zurück. Ihre Augen waren rosa. Mir wurde übel.
    »Camille und ich nehmen einen Drink in meinem Schlafzimmer«, sagte sie zu den anderen und richtete ihre Haare im Spiegel über dem Sideboard. Sie war entsprechend angezogen, trug schon ihr Nachthemd. Ich folgte ihr die Treppe hinauf, genau wie als Kind, wenn sie mich zu sich befahl.
    Und dann war ich in ihrem Zimmer, da, wo ich immer hingewollt hatte. Das enorme Bett, aus dem Kissen wie Entenmuscheln wucherten. Der hohe Spiegel. Und der berühmte Elfenbeinboden, der wie das Mondlicht auf einer Schneelandschaft schimmerte. Sie warf die Kissen zu Boden, schlug die Decke zurück und deutete aufs Bett. Dann legte sie sich neben mich. In den Monaten nach Marians Tod, als sie in ihrem Zimmer blieb und mich beharrlich zurückwies, hätte ich nicht zu träumen gewagt, dass ich einmal mit meiner Mutter in diesem Bett liegen würde. Nun war ich hier, mehr als fünfzehn Jahre zu spät.
    Sie fuhr mir mit den Fingern durchs Haar und reichte mir den Drink. Er roch nach braunen Äpfeln. Ich hielt das Glas in der Hand, trank aber nicht.
    »Als ich ein kleines Mädchen war, nahm mich meine Mutter mit in den Wald und ließ mich dort allein«, sagte Adora. »Sie war nicht wütend oder durcheinander. Eher gleichgültig. Beinahe gelangweilt. Sie erklärte nichts. Sagte kein Wort zu mir. Ich sollte nur ins Auto steigen. Ich war barfuß. Als wir ankamen, nahm sie mich bei der Hand und schleppte mich zügig den Weg entlang, bog dann ab, ließ meine Hand los und sagte, ich solle ihr nicht folgen. Da war ich gerade mal acht, ein kleines Ding. Als ich nach Hause kam, hing mir die Haut von den Füßen in Fetzen. Sie schaute nur von der Abendzeitung hoch und ging in ihr Zimmer. In dieses Zimmer.«
    »Warum erzählst du mir das?«
    »Wenn ein Kind in diesem Alter schon weiß, dass es von seiner Mutter nicht geliebt wird, geschehen schlimme Dinge.«
    »Glaub mir, ich weiß, wie sich das anfühlt«, sagte ich. Sie fuhr noch immer durch meine Haare, ein Finger spielte an der kahlen Stelle herum.
    »Ich wollte dich lieben, Camille, aber es war so schwer. Bei Marian war es leicht.«
    »Es reicht, Momma.«
    »Nein, noch nicht. Ich möchte mich um dich kümmern, Camille. Ich möchte, dass du mich nur ein einziges Mal brauchst.«
    Es soll aufhören. Alles soll aufhören.
    »Na gut«, sagte ich, kippte den Drink in einem Zug und löste ihre Hände von meinem Kopf. Zwang mich, mit fester Stimme zu sprechen.
    »Ich habe dich immer gebraucht, Momma. Aber es war ein normales Bedürfnis, keins, das du auf Knopfdruck ein- und ausschalten konntest. Und Marians Tod verzeihe ich dir nicht. Sie war ein kleines Kind.«
    »Sie wird immer mein Kind sein«, sagte meine Mutter.

16 . Kapitel
    I ch schlief ohne Ventilator ein, und als ich aufwachte, klebte mir das Laken am Körper. Ich stank nach Schweiß und Urin. Zähneklappern,
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