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Cry Baby - Scharfe Schnitte: Thriller (German Edition)

Cry Baby - Scharfe Schnitte: Thriller (German Edition)

Titel: Cry Baby - Scharfe Schnitte: Thriller (German Edition)
Autoren: Gillian Flynn
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hingen an Turnstangen und Ringen, bewacht von fetten, wütenden Wärterinnen. Drei Mädchen kletterten die Leiter einer gewundenen Rutsche hoch, rutschten hinunter, wieder und wieder, solange ich dort war.
    Amma hatte sich fast kahl geschoren, vielleicht um härter zu wirken, sah aber noch überirdischer und elfenhafter aus. Ihre Hand war schweißnass. Sie zog sie weg.
    Ich hatte mir vorgenommen, nicht nach den Morden zu fragen, den Besuch so unbekümmert wie möglich zu gestalten, doch es platzte förmlich aus mir heraus. Warum die Zähne, warum diese Mädchen, die so aufgeweckt und interessant waren? Was hatten sie ihr getan? Wie konnte sie so etwas tun? Die letzte Frage klang vorwurfsvoll, als hätte sie ohne meine Erlaubnis eine Party gefeiert.
    Amma schaute verbittert zu den drei Mädchen auf der Rutsche hinüber und sagte, sie hasse alle hier, alle Mädchen seien entweder dumm oder verrückt. Sie hasse es, die Wäsche zu waschen und fremde Sachen anzufassen. Dann verstummte sie, und ich dachte schon, sie werde meine Fragen einfach übergehen.
    »Eine Weile war ich mit ihnen befreundet«, sagte sie schließlich mit gesenktem Kopf. »Wir hatten Spaß, rannten im Wald herum. Wir waren wild. Taten anderen weh. Einmal haben wir eine Katze getötet. Aber dann …« – wie immer blieb Adoras Name unausgesprochen – »… interessierte sie sich auf einmal für sie. Ich hatte nie etwas für mich allein. Sie waren nicht mehr mein Geheimnis. Sie kamen ständig zu uns nach Hause. Sie stellten mir Fragen übers Kranksein. Sie hätten alles kaputtgemacht. Sie hat es nicht mal gemerkt.« Amma rieb sich heftig die Stoppeln. »Und warum musste Ann … sie beißen? Ich musste dauernd dran denken. Warum konnte Ann sie beißen und ich nicht?«
    Sie weigerte sich, mehr zu sagen, antwortete lediglich mit Seufzen und Husten. Die Zähne hatte sie nur genommen, weil sie sie brauchte. Das Puppenhaus musste perfekt sein, genau wie alles, an dem Amma hing.
    Ich glaube, es steckte mehr dahinter. Ann und Natalie starben, weil Adora ihnen Aufmerksamkeit schenkte. Amma musste es als Gemeinheit empfinden. Amma, die meiner Mutter so lange erlaubt hatte, sie krank zu machen.
Wenn man andere etwas mit sich machen lässt, macht man es manchmal in Wirklichkeit mit ihnen.
Amma beherrschte Adora, indem sie sich von ihr krank machen ließ. Im Gegenzug verlangte sie uneingeschränkte Liebe und Treue. Andere Mädchen waren verboten. Aus demselben Grund ermordete sie auch Lily Burke. Sie argwöhnte, dass ich Lily lieber mochte.
    Natürlich kann man tausend andere Motive finden, doch letztlich ist eines sicher: Amma genoss es, anderen wehzutun.
Ich mag Gewalt
, hatte sie einmal gekreischt. Ich gebe meiner Mutter die Schuld. Ein Kind, das mit Gift genährt wurde, findet Trost in der Gewalt.
     
    Am Tag, als Amma verhaftet wurde, als sich letztendlich das ganze Bild enthüllte, wachten Curry und Eileen wie zwei besorgte Salz- und Pfefferstreuer auf meiner Couch. Ich schob mir ein Messer in den Ärmel, zog mir im Bad das T-Shirt aus und drückte es tief in den perfekten Kreis auf meinem Rücken. Drehte es hin und her, bis es die Haut in krakeligen Schnitten zerfetzt hatte. Curry brach die Tür auf, bevor ich über mein Gesicht herfallen konnte. Sie packten meine Sachen und nahmen mich mit zu sich nach Hause, wo ich im ehemaligen Hobbykeller ein Bett und etwas Platz für mich habe. Alle scharfen Gegenstände sind weggeschlossen. Ich habe mich auch nicht sonderlich bemüht, an sie heranzukommen.
    Ich lerne, mich umsorgen zu lassen. Ich lerne, Eltern zu haben. Ich bin in meine Kindheit zurückgekehrt, an den Tatort. Morgens wecken mich Eileen und Curry, und abends bringen sie mich mit einem Gutenachtkuss zu Bett (bei Curry ist es ein sanfter Stups unters Kinn). Ich trinke nichts Stärkeres als die Traubenlimonade, die Curry so gerne mag. Eileen lässt mir Badewasser ein und bürstet manchmal meine Haare. Dabei überläuft mich kein Schauer mehr, was wir als gutes Zeichen deuten.
    Bald jährt sich der Tag, an dem ich aus Wind Gap zurückgekehrt bin. Zufällig ist an diesem Tag auch Muttertag. Ganz schön clever. Manchmal denke ich an die Nacht, in der ich mich um Amma kümmerte, wie gut ich sie trösten und beruhigen konnte. Ich träume, wie ich Amma wasche und ihr die Stirn trockne. Wenn ich aufwache, ist mir übel, ich spüre den Schweiß auf der Oberlippe. Habe ich mich aus purer Freundlichkeit um sie gekümmert? Oder weil ich Adoras Krankheit geerbt
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