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Crescendo

Crescendo

Titel: Crescendo
Autoren: corley
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Jungen eine Lektion erteilen, die er dringend brauchte.
    Derweil würde er von der Bildfläche verschwinden. Er würde bis zum Prozess untertauchen müssen. Falls die Anklage zusammenbrach, könnten sie sich wieder zusammentun und woanders weitermachen.
    Froh darüber, seine Selbstsicherheit wiedergewonnen zu haben, sprintete der Beobachter über das Gras davon und verschwand in der Dunkelheit.

    12

    Ein Jahr später
    »Würdest du auch allein reingehen? Ich weiß, ich sollte mitkommen, aber …« Er blickte weg, schämte sich seiner Furcht vor dem, was sie drinnen erwartete.
    »Nein, schon gut, ich mach das allein. Aber warte hier auf mich.«
    Sie stieß eine schwere, mattrot lackierte Eisentür auf und ging an Schildern in einer Fremdsprache vorbei, mit der sie nichts anfangen konnte. Ein unangenehmer chemischer Geruch drang durch ihre zusammengebissenen Zähne und füllte ihre Kehle mit einer beißenden Süße, von der sie würgen musste. Die Luft war kalt, der Korridor leer. Ein nacktes Fenster am hinteren Ende ließ grelles Licht herein, das ihren Schatten zurück Richtung Tür jagte.
    In der Mitte der Decke hing an Stahlketten ein Schild herab, auf dem neben den stilisierten Umrissen einer Kapelle ein schwarzer Pfeil nach rechts zeigte. Sie folgte dem stummen Hinweis und bog ab, ließ das Sonnenlicht vom Fenster am Ende des Korridors hinter sich. Nackte Glühbirnen an den Wänden beleuchteten jetzt ihren Weg.
    Sie gelangte zu einer weiteren massiven Tür, auf der die Umrisse der Kapelle unter einer abblätternden Plastikbe-schichtung zu sehen waren. Sie drückte die Klinke herunter, aber die Tür war verschlossen. Alles war totenstill, doch dann hörte sie das leise Klacken von Fingern auf einer Tastatur, und sie ging dem Geräusch bis zu einer Bürotür nach. Sie klopfte leise an und trat ein.

    13

    »Si?« Eine junge Frau mit schweren Lidern und dunklen Augen blickte auf, sichtlich verärgert über die Störung.
    »Entschuldigen Sie. Ich bin Louise Nightingale. Ich komme aus England. Ich möchte zu meinen Eltern.«
    Als die Frau den Namen hörte, wurde ihr Blick weich, und sie stand auf.
    »Scusi.«
    Sie ließ Nightingale allein im Büro stehen, wo sie über einen Metallschreibtisch in den klaren Himmel dahinter blickte. Genau deshalb waren ihre Eltern hergekommen, auf der Suche nach Sonnenschein im Winter. Sie wandte sich ab, wieder mit einem flauen Gefühl.
    Ein Mann, der einen tadellos geschneiderten schwarzen Anzug, rote Krawatte und Sonnenbrille trug, betrat den Raum.
    »Miss Nightingale, wir hatten Sie gestern erwartet. Wenn Sie mir bitte folgen würden.«
    Der Mann ging zu der Kapellentür und schwang dabei einen Schlüssel an einer dünnen Silberkette wie einen Rosenkranz.
    »Sie sind hier drin. Es tut mir so Leid. Möchten Sie lieber allein sein?«
    »Ja, bitte.«
    Sie stieß die Tür auf, sie war schwer und schien sich der Störung zu widersetzen. Ein dicker Ledervorhang hing wie eine zweite Barriere dahinter. Innen war die Luft noch kälter, das Licht dämmrig. Es roch nach Blumen und Weihrauch, und erst jetzt fiel ihr wieder ein, dass sie in einem katholi-schen Land war. Ein Kruzifix mit einem leidenden Christus aus bemaltem Gips auf Holz hing an der leuchtend roten hinteren Wand. Davor standen zwei offene Särge. Als sie darauf zuging, überwältigte sie der Duft einer Vase voller Lilien. In 14

    der kühlen Dämmerung wirkten sie wie vollkommene Elfen-beinblüten, die sich an die sterile, klimatisierte Luft klammerten.
    Das leise Brummen der Klimaanlage war das einzige Ge-räusch in der Stille. Hinter ihr fiel die Tür mit einem Klicken ins Schloss, und einen Moment lang musste sie den Impuls niederkämpfen, zurückzulaufen und gegen die Tür zu schlagen, um ihrem eingebildeten Begräbnis zu entfliehen. Stattdessen ging sie weiter, ganz die beherrschte und gefasste Engländerin, und legte die Hand auf den Eichenholzsarg ihrer Mutter.
    Jemand hatte ihr bestes Sommerkleid angezogen. Ein wei-
    ßes Tuch bedeckte ihren Leichnam bis zur Brust. Die Hände darunter waren gefaltet, und sie fühlte sich um einen letzten Blick auf die langen Finger und die schlanken rosa Nägel, die immer so sauber gewesen waren, betrogen.
    Ihr fiel die Warnung wieder ein, die ihr von der britischen Polizei im Namen der italienischen Kollegen ausgerichtet worden war: »Beide haben sehr schwere Verletzungen erlit-ten. Ihr Vater starb an der Unfallstelle, Ihre Mutter zwei Stunden später.«
    Sie fragte sich, was für
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