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Crazy Moon

Crazy Moon

Titel: Crazy Moon
Autoren: Sarah Dessen
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volle Lautstärke und schloss die Augen, während der Zug aus dem Bahnhof fuhr.
     
    Es war nicht immer so gewesen.
    In meiner frühesten Erinnerung – ich bin ungefähr fünf Jahre alt – trage ich Schnallenschuhe aus weißem Lackleder und sitze auf dem Vordersitz unseres riesigen alten Kombis. Wir parken vor einem kleinen Supermarkt an einer Ausfallstraße, es ist brüllend heiß und meine Mutter läuft über den breiten Bürgersteig auf mich im Auto zu, zwei Riesenbecher Cola, eine Tüte Chips und eine Packung Schokoriegel balancierend. Sie trägt Cowboystiefel – rote Cowboystiefel – und einen Minirock, obwohl es während der Phase war, die wir die Fetten Jahre nannten. Doch auch extremes Übergewicht – in ihren Spitzenzeiten wog sie hundertfünfzig Kilo – hielt meine Mutter nie davon ab, jede Mode mitzumachen, egal welche.
    Sie öffnet die Autotür und lässt ihre Beute auf meinen Schoß plumpsen; die Chipstüte prallt von meinem Bein ab und fällt auf den Boden.
    »Rutsch mal ein Stück rüber.« Sie verstaut ihre massige Gestalt neben mir auf dem Sitz. »Bis Texas brauchen wir noch mindestens einen halben Tag.«
    Ansonsten bestehen meine Kindheitserinnerungen aus Autobahnen, die mir aus unterschiedlichen Landschaften entgegenfliegen: Wüste, trocken und flach, |9| dichte Nadelwälder, windige, von Dünen umsäumte Küstenstraßen. Nichts blieb je gleich, bis auf wenige Ausnahmen: Meine Mutter und ich waren beide viel zu dick. Meistens war es bis zum nächsten neuen Wohnort nicht besonders weit. Und wir hielten immer zusammen, wir gegen den Rest der Welt.
    Die letzte unserer vielen Stationen war Charlotte, North Carolina. Vor drei Jahren kamen wir an und sind immer noch da; ich bin noch nie so lange an einem Stück auf ein und dieselbe Schule gegangen. Außerdem ist Charlotte der Ort, an dem aus meiner Mutter Kiki Sparks wurde.
    Davor war sie bloß die Katharine ohne Schulabschluss, die alles und nichts konnte. Darin wiederum war sie Meisterin: Sie hatte als Vertreterin für Kosmetika gearbeitet, an Tankstellen Benzin gezapft, Grabstellen per Telefon verhökert und sogar die Termine für einen Begleitservice organisiert. Egal was, Hauptsache, wir hatten Geld für Essen und Benzin, bis sie wieder Hummeln im Hintern bekam und wir weiterzogen. In Charlotte bewarb sie sich gleich zu Anfang für eine Stelle in einer chemischen Reinigung, wurde jedoch abgelehnt. In ihrem Frust fuhr sie nach dem Bewerbungsgespräch beim Ausparken versehentlich gegen einen ebenfalls dort parkenden Cadillac. Weil wir restlos pleite waren, überredete meine Mutter die Besitzerin des Cadillacs, die ein Fitnessstudio leitete, dass sie die Reparaturkosten abarbeiten durfte. Zunächst putzte sie bloß die Trainingsgeräte und beantwortete das Telefon, doch schon nach wenigen Wochen war sie der Frau so sehr ans Herz gewachsen, dass jene ihr eine Ganztagsstelle plus freie Mitgliedschaft im Fitnessclub anbot. |10| Nur eine Woche zuvor hatten wir uns mal wieder von Ketchupsuppe und Instantnudeln ernähren und auf der Ladefläche unseres Kombis übernachten müssen. Jetzt kam auf einmal regelmäßig Geld rein und wir zogen in eine richtige Wohnung. So oder so ähnlich war es allerdings immer gelaufen, damals in den Fetten Jahren: Irgendwie ging in letzter Minute dann doch alles gut.
    Ihr ganzes Leben lang hatte meine Mutter versucht abzunehmen. Jetzt schien es endlich zu klappen, in jenem Studio, das Lady Fitness hieß. Da sie schon immer leidenschaftlich gern getanzt hatte, wurde sie süchtig nach Aerobics. In jeder freien Minute schob sie eine Aerobic-Klasse ein. Nach kurzer Zeit fing sie an mich mitzuschleppen, ob ich wollte oder nicht. Es war so peinlich: Hundertdreißig Kilo –
meine
Mutter   –, die hüpften, wippten, in die Hände klatschten, laut mitsangen, lauter als alle anderen zusammen, und vor Begeisterung und Elan ganz aus dem Häuschen waren.
    Doch die Aerobic-Trainer waren ganz vernarrt in sie. Nach einigen Monaten halfen sie ihr sich auf die Prüfung vorzubereiten, damit sie einen Trainerschein erwerben und selbst Kurse geben konnte. Nach bestandener Prüfung wurde sie die dickste – und beliebteste – Aerobic-Trainerin, die je bei Lady Fitness gearbeitet hat. In ihren Klassen lief die beste Musik, sie kannte jede ihrer Schülerinnen beim Vornamen und erzählte unermüdlich Geschichten über unsere Fetten Jahre, um ihre Botschaft zu untermauern: Man schafft
alles,
wenn man nur wirklich will.
    Zwei Jahre nach unserer
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